Der Novembermörder
sagenden Blick zu.
War es ein Vorteil, dass er betrunken war? Es war das Beste, Birgitta die Vernehmung zu überlassen. Er sah sie nicht als Polizeibeamtin. Andersson versuchte, sich in seiner Ecke so unsichtbar zu machen wie möglich, was aber vollkommen unnötig war. Reuter hatte schon vergessen, dass er überhaupt existierte. Birgitta sagte freundlich: »Möchten Sie eine Tasse Kaffee, Herr Reuter?«
»Valle, meine Gute! Alle sagen Valle zu mir!«
»Kaffee?«
»Ja, gern.«
Andersson war verblüfft, als Birgitta ihm ein Zeichen gab, dass er doch Kaffee holen möge. Aber das war sicher genau richtig. Sie war es, die die Vernehmung leitete. Dennoch fühlte er sich ziemlich dumm, als er zum Kaffeeautomaten ging. Er holte drei Becher, was er auf dem Rückweg schwer bereute. Es war nicht leicht, drei Becher auf einmal zu tragen.
Reuter saß schnaufend da und beachtete Andersson gar nicht, als dieser zwei der Becher auf den Schreibtisch stellte.
»… mein ältester Freund. Wir kannten uns seit fünfundvierzig Jahren!«
Valle Reuter wischte sich die Nase im karierten Futter der Jacke ab. Mit einer gespielt Anteil nehmenden Miene reichte Birgitta ihm ein Papiertaschentuch.
»So weit wir wissen, waren Sie … Valle, auch auf dem Fest am Samstag. Zum dreißigsten Hochzeitstag.«
»Ja, aber natürlich! Leila und ich waren doch Trauzeugen bei ihrer Hochzeit.«
»Leila?«
»Meine frühere Frau. Wir haben uns vor fünf Jahren scheiden lassen. Nicht ein Öre hat sie gekriegt!«
Reuters Stimme war plötzlich aggressiv und hasserfüllt geworden.
»War es ein schönes Fest?«
»Fest? Welches Fest?«
»Das am Samstag bei von Knechts.«
»Ach so, das Fest. Ja, phantastisch! Herrliches Essen und wunderbare Weine. Zur Vorspeise wurde ein interessanter Weißwein serviert, und zwar aus Südafrika! Neil Ellis. Sauvignon Blanc. Trocken und pfeffrig, frisch und rund. Intensiver Geschmack. Leichter Duft nach Ameisensäure und Kräuterboden. Ausgezeichnet zum Lachstatar!«
In den Ohren des Kommissars klang das wie Besoffenengelaber, aber da Birgitta sich anscheinend etwas notierte, mischte er sich nicht ein. Reuter wanderte weiter in seinen Träumen und setzte seine Schwärmereien fort: »Zum Hauptgericht wurde ein phantastischer französischer Wein gereicht. Zum Glück unterstützt Richard nicht diese idiotischen Ideen, die Franzosen zu boykottieren. Rot. Bandol Cuvée Special 92. Satter Duft, konzentriert, reicher und fruchtiger Geschmack mit einem Hauch von Lakritze. Der Rehrücken war wirklich in guter Gesellschaft, das muss ich schon sagen.«
Andersson fand eher, das klang widerlich. Lakritzgeschmack im Rotwein! Andererseits mochte er sowieso keinen Rotwein. Höchstens weißen, zu Krabben! Er bevorzugte ein Bier mit einem Schnaps. Birgitta fragte: »Was meinen Sie, hat Richard sich wie immer verhalten?«
»Absolut! Fröhlich und offen, wie immer. Wir mögen Feiern gern, Richard und ich. Aber jetzt kann er ja auf kein Fest mehr gehen. Richard …«
Wieder musste Birgitta mit einem Taschentuch aushelfen. Reuter putzte sich lautstark die Nase und starrte sie mit roten Augen an. Er holte tief Luft, bevor er fortfuhr: »Meine Güte, ich muss um Entschuldigung bitten. Ich habe die ganze Nacht getrunken. In Erinnerung an Richard. An meine Freundschaft zu Richard. Er ist mein bester Freund.«
»Trotzdem haben Sie daran gedacht hierher zu kommen?«
»Mein Stellvertreter hat mich abgeholt. Ich hatte ihn gestern darum gebeten. Nachdem Sie, wie war das noch … ja, nachdem Sie angerufen hatten. Das ist ein prima Junge, Mats Tengman. Ich habe ihn mir ausgesucht. Als meinen Nachfolger. Mein Sohn ist Arzt. Er will Anästhesist werden, denn er will nicht mit Geld, sondern mit Menschen arbeiten, wie er sagt. Alle meine Leute sind in Ordnung. Wenn Sie wüssten, was ich für tolle Mitarbeiter habe.«
Ein weiteres lautes Schnauben unterstrich seine Behauptung.
»Als er mich hier abgeliefert hat, da hat er ja gesehen, wie … wie mitgenommen ich bin, nach allem, was passiert ist … mit Richard. Und da hat er gesagt: ›Valle, ich kümmere mich schon um den Laden. Ruhe du dich heute lieber aus.‹ Das hat Mats zu mir gesagt.«
Andersson sah, dass Birgitta diskret etwas auf ihrem Block notierte. Vorsichtig setzte sie die Vernehmung fort.
»Erzählen Sie mir von den Dienstagen, Valle.«
»Wovon?«
»Von den Mittagessen am Dienstag.«
»Das machen wir jetzt seit mehr als zwanzig Jahren so. Jeden Dienstag haben wir zusammen Mittag
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