Der Novembermörder
Zeitangaben. Ankunft zwischen eins und halb zwei, Abfahrt gegen halb vier. Der Grund, warum Valle Reuter am Mordabend und in der Mordnacht nicht zu Hause war: Er hat die Nacht mit seiner so genannten Freundin, Gunnel Forsell verbracht, wie schon seit drei Jahren. Er hat die Adresse schließlich herausgerückt und ich habe heute Vormittag mit ihr gesprochen. Sie war nicht besonders erfreut über die Aufmerksamkeit, die ihr zuteil wurde, um es mal vorsichtig auszudrücken. Zuerst weigerte sie sich, mich zu sehen. Aber ich habe damit gedroht, sie mit dem Peterwagen abholen zu lassen, wenn sie nicht einwilligt. Da wurde sie friedlicher, denn die Nachbarn in dem feinen Mietshaus in der Stampgatan haben wohl kaum eine Ahnung, welcher Nebentätigkeit die kleine Frau Forsell nachgeht. Eine Nebentätigkeit, die ihr doppelt so viel einbringt wie ihr sonstiger Job. Ratet mal, als was sie normalerweise arbeitet?«
Birgitta sah sich unter den Kollegen um, die interessiert ihren Ausführungen gefolgt waren. »Stripperin«, »Kindergärtnerin«, »Krankenschwester« lauteten einige Vorschläge. Birgitta schüttelte lächelnd den Kopf.
»Alles falsch! Sie ist Bibliothekarin!«
Alle um den Tisch sahen verblüfft drein. Etwas so Langweiliges hatte sich keiner vorgestellt. Jonny Blom flüsterte Fredrik Stridh zu: »Ha, stille Wasser, die sind tief!«
Birgitta kümmerte sich nicht um die beiden, sondern fuhr fort: »Ich bin gegen elf zu ihr gefahren. Es stellte sich heraus, dass sie fünfunddreißig Jahre alt ist und gut aussieht, wenn auch nicht wie ein Fotomodell, wenn ihr versteht.«
Jonny unterbrach sie wieder: »Nein, ich verstehe nicht. Am besten fahre ich mal hin und überprüfe das!«
Er tat so, als wollte er aufstehen, und grinste Birgitta breit an. Aber diese sah ihn nur kalt an und sagte mit neutraler Stimme: »Dass du nichts verstehst, ist ja nichts Neues. Aber wir anderen, Normalbegabten, wir machen weiter. Wie gesagt: Gunnel war nicht begeistert, dass ich sie aufsuchte. Doch nach einer Weile kam sie dann doch ins Plaudern. Sie ist seit fünf Jahren geschieden, keine Kinder. Seit zehn Jahren hat sie eine Halbtagsstelle in der Stadtbibliothek. Bei ihrer Scheidung dachte sie nicht, dass es so schwer sein würde, eine volle Stelle zu bekommen. Aber in diesen Zeiten des Sparens kürzen alle Kommunen die Gelder für die Bibliotheken. Und das Gehalt für die halbe Stelle reichte nicht aus, also bestand die Lösung für sie in vier Herren. Sie sind alle ältere Gentlemen. Valle ist der Einzige, der nicht verheiratet ist, die anderen drei sind es. Sie hat dienstags, donnerstags und an den Wochenenden keinen Dienst in der Bibliothek und dann widmet sie sich den Herren. Sie wollte sich nicht näher über das Arrangement auslassen, aber offenbar haben sie feste Tage und Zeiten. Am Dienstag hat sie zwei Besucher. Herr Nummer eins pflegt gegen zwölf zu erscheinen und geht wieder um zwei. ›Verlängerte Mittagspause‹, wie er es nennt. Valle ist Herr Nummer zwei, er hat eine Sondervereinbarung. Er kommt um halb sechs, sie essen zusammen etwas, unterhalten sich und gucken Fernsehen. Er ist immer ziemlich angeheitert, wenn er kommt, da er ja vorher mit von Knecht gegessen hat. Gegen elf Uhr gehen die beiden dann ins Bett. Meistens schläft er sofort ein, manchmal möchte er aber auch eine ›kleine Massage‹ haben, wie sie sich ausdrückte. Dann schlafen die beiden in ihrem großen Doppelbett. Am nächsten Morgen frühstücken sie zusammen und dann geht sie zur Arbeit und er trottet nach Hause.«
Andersson konnte nicht anders, er musste eine Frage einwerfen: »Und wie viel bezahlt er dafür?«
Birgitta sah ihn mit ihren klaren braunen Augen an, bis er rot wurde.
»Damit wollte sie nicht rausrücken. Aber man kann es so sagen: Sie wohnt in einer hübschen Dreizimmerwohnung in der Stampgatan. Kunst und Möbel nur vom Feinsten. Sie trug Schmuck, der gut und gerne meine Australienreise finanzieren könnte, und sie war sehr elegant und teuer gekleidet. Als ich gehen wollte, sah ich einen Autoschlüssel auf der Flurgarderobe liegen. Er gehörte zu einem Saab 900, das Modell des letzten Jahres.«
Ein nachdenkliches Schweigen erfüllte das Zimmer. Das war nicht die übliche Sorte von Hure, die sich für ein paar Hunderter auf dem Rücksitz eines Autos verkaufte und das Geld gleich in Schnaps oder Drogen umsetzte. Alle hatten schon von Callgirls und Edelnutten gehört, aber noch keiner war wirklich schon einmal auf eine gestoßen. Bis
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