Der Novize des Assassinen: Roman (German Edition)
sein.«
Sie drehte sich um und schlich zurück zur Waffenkammer. Tarō wartete mehrere ängstliche Minuten lang. Einmal hörte er etwas auf den Boden fallen, ein Scheppern wie von Metall auf Stein.
Er erstarrte.
Die Zeit schien in der Luft hängen zu bleiben wie Wassertröpfchen an einem Spinnennetz.
Doch niemand regte sich oder sagte etwas, soweit Tarō hören konnte, und allmählich entspannte er sich wieder. Gleich darauf kehrte Heikō mit einem kleinen Lederbeutel zurück. »Das war knapp«, flüsterte Heikō. »Ich habe irgendetwas angestoßen, und einen Moment lang dachte ich, es könnte jemand aufwachen.«
Tarō hatte schwarze Kimono und Hakama hinter einer Statue in einem der Felsengänge versteckt, und nun schlüpften er und Heikō in diese Kleider, die sie in der Nacht verbergen würden. Tarō steckte außerdem ein Kurzschwert in eine Scheide, die an der Taille in seinem Gewand verborgen war.
Man konnte nicht vorsichtig genug sein.
Er und Heikō wickelten sich die drei Tücher – die Sanjaku Tenugui – um den Kopf, aus denen die Ninja-Maske bestand, so dass nur die Augen frei blieben. Dann folgten sie dem Tunnel zu der Berghütte. Tarō fand ihn diesmal wesentlich weniger beängstigend, obwohl sie länger brauchten, als er gehofft hatte, um sich in dem komplizierten Tunnelsystem zurechtzufinden. Sie traten aus der Hütte in eine klare, kalte Nacht. Neben der Mondsichel funkelten unzählige Sterne am Himmel.
Heikō schlug vor, direkt durch die Reisfelder hinabzusteigen, statt den Wegen dazwischen zu folgen. Das war eine gute Idee, denn tiefer im Wasser waren sie schlechter zu sehen, und jemand, der nach ihnen Ausschau hielt, würde gewiss damit rechnen, dass sie über die Pfade schlichen. Sie wateten durch die Terrassenfelder, und bald waren ihre Füße und Beine klatschnass. Jedes Mal, wenn sie eine Terrassenstufe erreichten, kletterten sie lautlos hinab und duckten sich sofort wieder, damit ihre Silhouetten unsichtbar blieben. Einmal glaubte Tarō, ein leises Rascheln hinter ihnen zu hören, doch als er sich umdrehte, sah er nur die ansteigenden Stufen der Reisfelder und das bläuliche Mondlicht auf dem Wasser.
Der Winter stand vor der Tür, und auf den Berggipfeln konnten sie Schnee glitzern sehen. Ihr Atem bildete Dampfwölkchen, die wie Geister hinter ihnen in der Luft schwebten.
Binnen drei oder vier Räucherstäbchen hatten sie das Dorf erreicht. Die Dächer waren durch die Bäume vor ihnen zu sehen, und Rauch kräuselte sich über die Wipfel hinauf in den Nachthimmel. Tarō deutete auf einen dunklen Umriss im Reisfeld unter ihnen – da hielt jemand Wache. Er gab Heikō ein Zeichen, die daraufhin ein Blasrohr hervorholte. Die Pfeile waren in ein Gift getaucht, das ihr Opfer tief schlafen lassen, aber nicht töten würde. Sie zielte auf den Mann und schoss. Er fiel bäuchlings ins Reisfeld.
Das Wasser! Der Mann würde ertrinken!
Tarō sprang leichtfüßig in das Feld hinab und ging neben dem leblosen Körper in die Hocke. Tatsächlich, das Gesicht lag vollständig im Wasser. Er drehte den Mann um und überprüfte die Atmung. Flach, aber gleichmäßig. Er stieß erleichtert die Luft aus. Dann sah er, was der Mann in der Hand hielt: Pfeil und Bogen. Doch er schien nicht auf der Jagd gewesen zu sein. Tarō hielt ihn für einen Wachposten.
»Sie bewachen das Dorf«, flüsterte er Heikō zu.
Sie betrachtete den Bogen, dann den Mann, der ebenfalls dunkle Kleidung trug, um mit seiner Umgebung zu verschmelzen. »Anscheinend. Es gab eine Dürre dieses Jahr. Vielleicht haben sie nur wenig Nahrungsvorräte. Bestimmt wollen sie verhindern, dass jemand ihren Reis stiehlt.«
Tarō fluchte. »In diesem Fall dürfte es schwierig werden, in den Reisspeicher zu gelangen. Wir können wieder umkehren, wenn du willst.« Verärgert stellte er sich vor, seinen Bogen nie wiederzusehen – seine einzige Verbindung zu seinem wahren Vater, Daimyō Tokugawa, und womöglich der Gegenstand, in dem seine Bestimmung versteckt war.
Nein. Sie mussten weiter.
Heikō lachte leise. »Das macht es doch nur interessanter«, sagte sie.
Sie schlichen weiter, überquerten einen kleinen Fluss und betraten das Wäldchen, das sich um das Dorf zog.
In diesem Moment ging Tarō eine Manneslänge weit an der Nachricht seiner Mutter vorbei.
Doch er sah sie nicht.
Stattdessen entdeckte er einen weiteren Wachposten, halb hinter einem Baum verborgen. Er gestikulierte, und Heikō nickte. Er schob sich am nächsten Baum
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