Der Novize des Assassinen: Roman (German Edition)
Richtung des Kleinen Kawabata. Der Junge schlug sie mit seinem Stock nieder, so dass greller Schmerz durch Tarōs Arm zuckte, und drückte sie dann fest auf den Boden. Der Kleine Kawabata wandte sich halb um, den Stock immer noch auf Tarōs Hand gestemmt, und setzte zu einem Tritt aus der Drehung an, der auf Tarōs Kiefer zielte. Ein Tropfen von der Felsendecke klatschte auf Tarōs Stirn, kalt und glatt, wie eine Andeutung der Sterblichkeit.
Tarō dachte über diesen kleinen Tropfen nach.
Du hast immer eine Waffe.
Tarō spürte, wie sich sein Arm streckte, so schnell, dass er sich noch nicht einmal seiner Absicht bewusst gewesen war, ihn zu bewegen. Er scharrte über den Boden und bekam eine Handvoll Staub und Schmutz mit ein paar spitzen Steinchen darin zu fassen. Sie pieksten in seiner Hand. Er spürte, wie die Knochen sich darin bereits wieder zusammenfügten, und ein warmes Gefühl breitete sich in seinen heilenden Fingern aus. Er grinste und schmeckte Blut, das ihm in den Mund lief. Binnen eines Augenblicks fielen seine Herzenswärme, sein Mitgefühl, sein Verständnis von ihm ab wie eitler Flitter.
Er war nicht er selbst. Der Raum, den sein Körper normalerweise einnahm, war von einem Geist erfüllt, der nur an Blut und Gewalt dachte.
Er bewegte sich.
Der Kleine Kawabata wandte den Kopf in Tarōs Richtung, seinem restlichen Körper voran, um einen Drehtritt anzubringen, wie sie es gelernt hatten, indem er das Ziel anvisierte, ehe er den Fuß herumführte. Er hatte gerade noch Zeit, überrascht die Augen aufzureißen, als Tarō sich ihm entgegenwarf, seinen Stock beiseiteschlug und dem dicken Jungen eine Handvoll glitzernden, scharfkantigen Steinstaub in die Augen schleuderte.
Der Kleine Kawabata kreischte und warf sich blindlings zurück. Er hatte nur noch ein Bein auf dem Boden, weil er eben zum Tritt angesetzt hatte, und nun kippte er um wie ein gefällter Baum und knallte mit dem Rücken hart auf den Felsboden. Sogleich war Tarō über ihm und grinste wie ein Wahnsinniger durch eine Maske aus Blut und Tränen auf ihn hinab. Der Vampir hielt jetzt das Bokken in der rechten Hand, und der Kleine Kawabata musste hilflos zusehen, wie Tarō den Stock in einem kraftvollen, tiefen Bogen schwang. Der Kleine Kawabata spürte noch, wie sein Kopf zur Seite flog, dann senkte sich die Dunkelheit herab wie ein schwerer Regenguss.
Kurz bevor er im dunklen Wasser versank, hatte der Kleine Kawabata noch einen Gedanken, der wie ein Mantra in seinem Geist widerhallte.
Ich bringe ihn um.
Tarō stand zitternd auf. Er ließ den Stock fallen und kniete sich dann neben den Kleinen Kawabata. Er fühlte den Puls des Jungen. Schwach, aber zweifelsfrei vorhanden. Er taumelte zu Shūsaku hinüber. Der Ninja lächelte ihn an und stützte ihn mit einer Hand unter dem Arm.
»Wenn ich dir sage, dass du immer eine Waffe hast, meine ich das ernst«, erklärte er. »Du hast immer deinen Geist, deine stärkste Waffe. Und dein Geist ist in der Lage, erstaunlich viel zu entdecken, was du zum Kampf benutzen kannst, sogar in einem leeren Raum. Oder einer Höhle. Du bist kaum jemals vollkommen unbewaffnet, selbst wenn du dein Shobō verlierst.«
Shūsaku rief Hirō herbei und schob ihm Tarō zu. Tarō fühlte sich gleich ein wenig besser, als er die Arme seines Freundes unter seinen Achseln spürte. Er ging an seinen Mitschülerinnen vorbei, wobei Hirō fast sein ganzes Gewicht übernahm. Yukiko war aschfahl, und aus Heikōs Augen strahlte eine Art schmerzlicher Triumph. Er lächelte die Mädchen schwach an.
»Bring ihn ins Krankenzimmer«, sagte Shūsaku. »Er muss zusammengeflickt werden. Sogar Vampire kann man verletzen.«
Kapitel 43
Der Kleine Kawabata lag auf dem kalten, harten Boden und lauschte Shūsakus verhasster Stimme. Es war ihm ein Rätsel, wie dieser Mann den Klan hatte übernehmen können. Sein Vater hatte ihm die ganze Geschichte erzählt – dass der Klan eine Ninja namens Mara zu Daimyō Tokugawas Schutz geschickt hatte und dass Fürst Endō Shūsaku hinter ihr Geheimnis gekommen war und sie gezwungen hatte, ihn zu verwandeln, ehe er sie kaltblütig ermordet hatte.
Die hinterhältige Brillanz lag darin, dass niemand Shūsaku offen beschuldigen konnte, denn alle hatten so tun müssen, als sei sie nur eine Dienerin gewesen. Aus demselben Grund hatte der Vater des Kleinen Kawabata nie beweisen können, was Fürst Endō getan hatte. Der Kerl behauptete, das Mädchen sei von irgendeinem mysteriösen Agenten in Daimyō
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