Der Novize des Assassinen: Roman (German Edition)
Lampenschein erfüllte den Raum. Tarō rückte vor. Er trieb auf einer Wolke von Sägespänen dahin, deren Staub in der Luft um ihn herum glänzte, als schwämme er in Diamanten.
Durch diese seltsame Luft sah er das Gesicht seines Opfers.
Das war nicht Fürst Oda.
Es war ein Mädchen.
Dasselbe Mädchen, das sie im Wald vor den Rōnin gerettet hatten.
Hana stand aus dem Bett auf. Sie hatte ein Geräusch im Zimmer gehört und wollte nachsehen, woher es kam. Sie dachte keinen Augenblick lang daran, dass es sich um Eindringlinge, Angreifer, handeln könnte. Schließlich bewachte dieser Ninja, Namae, den Turm. Der Mann, den sie im Gespräch mit ihrem Vater belauscht hatte. Sie sollte gar nicht wissen, dass er da war. Eigentlich sollte sie nicht einmal wissen, dass sie in Gefahr schwebte – und obwohl sie es wusste, hatte sie es nicht richtig begriffen. Ihr Umzug in den Turm kam ihr vor wie eine luftige Kerkerhaft, nicht wie eine notwendige Sicherheitsmaßnahme zu ihrem Schutz. Tagelang hatte sie gegen die Tür gehämmert und versucht, den Wärter draußen zu einer Antwort zu bewegen oder eine Erklärung von ihrem Vater zu bekommen. Aber sie bekam gar nichts außer zwei Mahlzeiten am Tag, die unter der Tür durchgeschoben wurden.
Sie kochte vor Wut.
Sie wollte eine Erklärung dafür, was mit dem Tokugawa-Jungen und seiner Mutter geschehen war. Sie hatte gesehen, wie sie gewaltsam in den Turm gebracht worden waren, und vermutete, dass sie in dem Zimmer unter diesem eingeschlossen waren. Als sie selbst hier angekommen war, hatte sie anfangs schwache Schreie gehört, ein klägliches Echo durch den Steinboden. Doch nun lebte sie in einsamer Stille, zu der keine menschliche Stimme oder Gestalt drang.
Bis sie um den Wandschirm trat und auf der anderen Seite ihres Zimmers zwei Ninja sah. Einer von ihnen hatte sein Kurzschwert bereits gezückt. Der andere hielt eine überraschend kleine und zarte Hand über den Knauf seines Wakizashi.
Hana öffnete den Mund, um zu schreien. Doch mit einer Geschwindigkeit, die ihr übermenschlich erschien, hatte der größere Ninja das Schwert fallen lassen, sie gepackt und ihr die Hand auf den Mund gepresst.
»Was tut Ihr hier?«, flüsterte er drängend.
Überrascht versuchte sie zu antworten, doch es drang nur ein dumpfes Ächzen aus ihrer Kehle. Seine Finger pressten sich schmerzhaft auf ihre Lippen, und der Daumen grub sich in die Haut unter ihrem Kinn und drückte ihren Kiefer zu, damit sie nicht beißen konnte. Der Ninja beugte sich dicht zu ihr herab, und sie stellte fest, dass seine Augen hell, klar und vor allem sehr jung waren. Sie hatte das Gefühl, diese Augen von irgendwoher zu kennen.
Er stellte ihr mit der freien Hand pantomimisch eine Frage: Wenn ich die Hand wegnehme, wirst du dann schreien?
Hana merkte, dass sie mehr Neugier als Angst empfand. Sie schüttelte den Kopf. Die Wachen zu rufen, wäre ohnehin sinnlos gewesen – so schnell, wie der Ninja den Raum durchquert hatte, konnte er ihr vermutlich den Bauch aufschlitzen, ehe der Schrei ganz über ihre Lippen gedrungen war.
Der Ninja überlegte kurz, dann zog er die Hand zurück.
»Ich sollte dich fragen, was du hier tust«, flüsterte Hana. »Dies ist mein Schlafzimmer.«
»Nein …«, sagte der Ninja, offenbar nicht wenig erschrocken. »Ihr solltet Oda sein.«
»Ja«, sagte der kleinere Ninja und trat vor, und Hana erkannte zu ihrer Verblüffung, dass es ein Mädchen war. »Du solltest Oda sein, und du solltest sterben.«
»Ich bin Oda. Mein Name ist Prinzessin Oda no Hana. Ich bin die einzige Tochter des Fürsten Oda Nobunaga.«
Der männliche Ninja schnappte nach Luft. »Aber Shūsaku hat gesagt …«, flüsterte er und verstummte dann.
Er wich zurück, und seine Bewegungen drückten so deutlich Verwirrung aus, wie die Striche eines Schriftzeichens die Aufregung des Schreibenden verraten konnten.
Hana tat dieser helläugige Ninja auf einmal leid. Er wirkte nicht sehr bedrohlich. Sie legte ihm eine Hand auf den Arm. »Sag mir«, bat sie, »was du hier willst.«
Tarō blickte in die meergrauen Augen der jungen Dame. Sie fragte ihn, was er hier wollte, doch es fiel ihm schwer, sich auf irgendetwas anderes zu konzentrieren als das kühle Grau dieser Iris, den anmutigen Schwung dieser langen schwarzen Wimpern. Die Trauer über Shūsakus Tod war noch da, aber als er das Mädchen ansah, schien der Schmerz zu verblassen, in den Hintergrund zu rücken wie Schriftzeichen aus Tinte, die in der
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