Der Novize des Assassinen: Roman (German Edition)
Hügelflanke. Dort wurde die Straße schmaler und kreuzte einen breiten Fluss. »Diese Soldaten. Sie nehmen an den Übungen nicht teil.«
Tarō kniff ebenfalls die Augen zusammen. Ah ja – jetzt sah er sie. Wo die Straße den Fluss überquerte und zwischen den endlosen Reisfeldern hinter der Stadt weiterführte, lagerte eine kleine Gruppe gut bewaffneter Samurai zu beiden Seiten des Weges. Jeder, der sich ihnen näherte, würde die Brücke überqueren müssen – sofern er nicht durch den Fluss schwimmen wollte. Also konnten die Samurai jeden auf dieser Straße anhalten.
»Ein Wachposten«, erklärte Shūsaku. »Sie überwachen die Reisenden auf dem Weg in die Berge.«
»Oder diejenigen, die von den Bergen in die Stadt kommen«, sagte Tarō. »Vielleicht fürchtet Daimyō Oda einen Angriff.«
»Möglich«, erwiderte Shūsaku. »Aber ich bezweifle, dass Daimyō Oda irgendetwas fürchtet, außer zu versagen.« Er wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem Stück Straße unter ihnen zu. »Die Straßensperre da ist ein Hindernis. Sie bedeutet, dass ein Karren uns nichts nützen wird. In Reis oder Heu werden sie mit Schwertern herumstochern. Wir müssen hier im Wald warten, bis eine Sänfte vorbeikommt, und dann überfallen wir sie.«
»Wie ehrenhaft«, murmelte Tarō.
Wieder ignorierte Shūsaku ihn. Er führte Tarō und Hirō zur anderen Seite des Hügels, von wo aus sie die Straße beobachten konnten.
Sie war beinahe verlassen. Es war spät, und nicht viele Leute wagten sich im Mondschein nach draußen, vor allem jetzt, da die Rōnin so zahlreich durch Japan streiften. Die drei Gefährten warteten lange – mehrere Räucherstäbchen wären in dieser Zeit abgebrannt.
Schließlich deutete Shūsaku auf die Straße. Zwei Männer näherten sich von der Stadt her mit einer Sänfte, die dem Anschein nach einem Mitglied des niederen Adels gehören musste. Shūsaku zog ein langes, dünnes Rohr aus seinem Gewand. Tarō konnte sich nicht vorstellen, wo er es bisher versteckt haben sollte. Der Ninja ließ wie aus dem Nichts einen kleinen Pfeil zwischen seinen Fingerspitzen erscheinen und steckte ihn in das Rohr. »Davon werden sie nur schlafen«, sagte er, da er Tarōs Frage offenbar vorausahnte.
Tarō nickte. »Bring sie nur nicht um.«
Shūsaku schlich den Hügel hinab. Selbst Tarō, der genau wusste, wo der Ninja war, hatte nach einer Weile Schwierigkeiten, ihn auszumachen. Dabei war er diesmal vollständig bekleidet. Er glitt durchs Gebüsch wie ein Geist.
Zweimal war ein leises Pusten zu hören. Die Männer, die die Sänfte trugen, fielen auf die Knie, so dass der überdachte Stuhl unvermittelt auf den Boden krachte. Tarō hörte einen erschrockenen Aufschrei.
Shūsaku stürmte vor und hatte mit wenigen Sätzen die Sänfte erreicht. Er griff hinein und zerrte einen dicken Mann in einem prachtvollen Kimono heraus. Ehe der Mann protestieren konnte, legte Shūsaku die Finger irgendwo an seinen Hals, und der Mann brach ohnmächtig zusammen. Shūsaku suchte seine Kleider ab und rief dann Tarō und Hirō zu: »Kommt herunter und helft mir.«
Sie stiegen zur Straße hinab und halfen ihm, die Bewusstlosen ins Gebüsch zu schleifen, wo sie sie verstecken konnten. Shūsaku fesselte sie mit den Bändern ihrer Kimonos an Händen und Füßen. Dann gab er Tarō einen Wink. »Beiße einen von ihnen. Trink sein Blut. Ich werde dir sagen, wann du aufhören musst, damit du keinen bleibenden Schaden anrichtest.«
Tarō starrte auf die bewusstlosen Männer hinab. Es erschien ihm unehrenhaft, ja erbärmlich, sich von einem Mann zu nähren, der keinen Widerstand leisten konnte. Aber er hatte solchen Hunger …
»Hmm«, brummte Shūsaku und hielt eine Schriftrolle hoch, die er dem Edelmann aus der Sänfte abgenommen hatte. »Das ist sowohl gut als auch schlecht.«
»Was denn?«, fragte Hirō.
»Dieser Mann ist ein Gesandter. Er trägt eine Nachricht von Daimyō Oda an den Shōgun bei sich. Schlecht daran ist, dass wir die Sänfte einer wahrhaft bedeutenden Person überfallen haben.« Er lächelte. »Und darauf steht die Todesstrafe. Die gute Neuigkeit ist, dass wir eine Botschaft an den Shōgun bei uns tragen werden, die uns durch sämtliche Straßensperren bringen dürfte. Er mag nur ein kleiner Junge sein, doch das Amt, in das er eingesetzt wurde, gilt immer noch als das höchste, und die Leute haben die Macht seines Vaters nicht vergessen.«
Der Shōgun war der eigentliche Herrscher Japans. Er hielt alle militärische und
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