Der Novize des Assassinen: Roman (German Edition)
Gesichtsausdruck, dass sie zu demselben verrückten Schluss gelangte wie er. »Was«, flüsterte er, »wenn ich in Wirklichkeit jemand bin, der dem Fürsten Tokugawa wichtig ist?«
Er und die restlichen Bewohner von Shirahama waren so gründlich von Geschichten über die Heldentaten des Daimyō Oda beeinflusst worden, dass es ihm schon als Verrat erschien, dies auszusprechen.
Heikō starrte ihn an. »Ihr Götter. Ja. Das würde erklären, wie du zu diesem Bogen kommst. Und dann ist da noch die Prophezeiung der Äbtissin. Sie hat gesagt, dass der Sohn einer Ama Shōgun werden würde. Über den Vater hat sie nichts gesagt.«
Tarō schluckte. Sie dachte dasselbe wie er. Sie tastete sich an dem gleichen gewaltigen, unfassbaren Gebilde voran. Er wusste nicht, was er sagen sollte.
Heikō interpretierte sein Schweigen offenbar als Verwirrung statt als schockiertes Staunen und fuhr fort: »Ich frage mich … Was, wenn jemand dir den Bogen als … als Glücksbringer oder eine Art Erbstück gegeben hat? So etwas wie ein Siegel, das deine Herkunft beweisen könnte? Ich meine, dass der Sohn eines Fischers Shōgun werden soll, ist die eine Sache. Aber der Sohn eines Daimyō –«
In diesem Moment trat Shūsaku zu ihnen, gleich darauf gefolgt von Yukiko und Hirō, die erschöpft wirkten. »Lernt ihr euch schon besser kennen?«, fragte Shūsaku Tarō und Heikō mit etwas scharfer Stimme.
Wie lange hat er uns belauscht? , dachte Tarō.
»Ja«, antwortete er laut. Wie durch einen Schleier sah er, dass Shūsaku sich abwandte und um das Feuer kümmerte.
Heikō sah Tarō an, dann Shūsaku. Sie seufzte und stand auf, den Bogen in der Hand.
»Shūsaku«, sagte sie. »Ich finde, du solltest uns sagen, was hier vorgeht. Was hat Tarō mit dem Fürsten Tokugawa zu tun?«
Yukiko starrte Tarō an. »Wie bitte?«
Der Ninja richtete sich langsam auf. Er verschränkte die Arme. » Was hat uns verraten?«
Heikō hielt ihm den Bogen hin. »Tokugawas Mon. Auf der Innenseite eingeritzt.«
Shūsaku sog zischend die Luft durch die Zähne ein. »Ich hätte besser aufpassen müssen.« Er zog sein Wakizashi, und einen verrückten Augenblick lang glaubte Tarō, er werde Heikō erstechen, weil sie hinter das Geheimnis gekommen war. Doch er drehte es mit einer geschickten Bewegung herum und hielt Heikō den mit Leder umwickelten Griff hin. Sie nahm das Kurzschwert in die Hand.
»Ich habe meines auch noch«, sagte er.
Tarō trat neben Heikō und blickte auf die kleine Gravur auf der Klinge direkt vor dem Heft hinab. Sie war ihm schon in Shirahama aufgefallen, doch er hatte sie wieder vergessen. Es war das Mon, das den Ninja als Vasallen des Fürsten Tokugawa Ieyasu auswies.
Shūsaku nahm sein Schwert wieder zurück. »Ich bin kein Samurai mehr, seit ich auf einem Schlachtfeld gestorben und als Ninja wieder zum Leben erwacht bin. Und die meisten Dinge auf der Welt bedeuten mir nichts mehr, seit die Frau, die ich liebte, getötet wurde. Aber eines hat sich nie geändert: Mein Leben gehört dem Fürsten Tokugawa, und ich werde ihn und die Seinen vor jedem Unheil beschützen.«
Er trat vor Tarō hin.
»Das schließt auch seine Familie ein.«
Alle wurden vollkommen still. Tarō spürte Heikōs Griff an seinem Arm. Hirō sah ihn mit großen, staunenden Augen an.
»Verstehst du«, sagte Shūsaku, »Heikō hatte ganz recht damit, dass der Sohn eines Daimyō vermutlich mehr Aussicht hat, eines Tages Shōgun zu werden. In Wahrheit bist du, Tarō, Fürst Tokugawas Sohn.«
Kapitel 30
Tarō starrte den Ninja an, der ihm das Leben gerettet, ihn hunderte Ri von zu Hause fortgeführt und ihm das Beste und das Schlimmste am Leben eines Kriegers gezeigt hatte.
»Ich bin Fürst Tokugawas Sohn ?«, fragte er. »Dann sind meine Eltern …«
»Nicht deine Eltern. Ja.«
Tarō hatte das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Sein Vater, der sein Leben lang an der Küste vor Shirahama gefischt hatte, seine Mutter, die an den Korallenriffen getaucht hatte … Für ihn waren sie Sicherheit und Geborgenheit , Respekt und Zuhause .
Aber offenbar waren sie nicht Mutter .
Nicht Vater .
Er setzte sich.
Shūsaku verneigte sich so tief, wie man sich nur vor den allerhöchsten Samurai verbeugte. »Tokugawa-san«, sagte er, »ich bedaure, dass ich Euch dies vorenthalten habe.«
Niemand hatte sich jemals vor Tarō verbeugt oder ihn so ehrerbietig angesprochen. Das machte ihn verlegen. »Bitte«, sagte er, »steh auf.«
Shūsaku richtete sich nur
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