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Der Novize des Assassinen: Roman (German Edition)

Der Novize des Assassinen: Roman (German Edition)

Titel: Der Novize des Assassinen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Lake
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dass du ihn tatsächlich dort vergessen hast.« Er warf Tarō einen durchdringenden Blick zu, wandte sich ab und marschierte weiter, aufwärts aus dem Tal hinaus.
    Bald wichen die Reisfelder Felsen, einsamen Kiefern und Moos. Die Luft war dünn und erschwerte ihnen den Aufstieg. Sogar Tarō und Shūsaku mit ihrem Vampirblut begannen schwer zu atmen. Sie erreichten eine Wiese, auf der wilde Orchideen, Gänseblümchen und Mohnblumen wuchsen. Shūsaku hielt inne.
    »Wir sind da«, sagte er. Er deutete auf eine einfache Holzhütte am Rand der Wiese, direkt an einer steilen grauen Felswand. Außer der Hütte waren keine anderen Gebäude zu sehen.
    Tarō, Heikō und Yukiko blickten sich verwundert um. »Da ist nur eine Hütte«, sagte Hirō.
    Die Felswand ragte hoch über ihnen auf und schien sich in beide Richtungen weit hinzustrecken, als wollte sie den Weg zum Gipfel versperren. Eine dünne Schneeschicht bedeckte den Boden.
    Shūsaku lächelte. Er breitete die Arme aus, als wollte er ihnen die Landschaft zeigen, und drehte sich dabei im Kreis. Sie standen sehr hoch oben in den Bergen. Erst als Tarō sich jetzt umdrehte und ins Tal hinunterschaute, wurde ihm bewusst, wie hoch. Unter ihnen erstreckten sich Hügel in die Ferne, so niedrig und blass wie Sanddünen. Die Baumwipfel an der Baumgrenze lagen weit unter ihnen, und die Bäume selbst wirkten winzig.
    Dies war der höchste Punkt im Umkreis von vielen Meilen, soweit Tarō sehen konnte. Nur auf einer Seite versperrte die Felswand die Sicht. Auf den anderen drei Seiten blickten sie von oben auf die Welt hinab, wie die Krähen.
    Inmitten der kahlen Hochgebirgslandschaft stand einsam die Berghütte, als hätte irgendein verrückter Eremit es auf sich genommen, völlig isoliert hoch über allen anderen zu leben.
    »Hier endet unsere Reise«, sagte Shūsaku. Er führte sie die Wiese hinauf zu der Hütte.
    »Willst du damit sagen, das da sei das Lager der Ninja?«, fragte Hirō. »Ich hatte mir doch etwas Größeres erhofft.«
    Shūsaku lächelte ihn an und öffnete die Tür.
    Tarō warf Hirō einen Blick zu. Der zuckte mit den Schultern und folgte Shūsaku durch die Tür. Tarō kam nach ihm, dann die Mädchen. In der Hütte war es dunkel, und es roch nach feuchter Erde. Tarō blickte sich um. Die Wände waren kahl. Es gab keine Möbel. Es war überhaupt nichts in dem Raum außer einem rechteckigen Teppich auf dem Boden. Von Shūsaku war nichts mehr zu sehen.
    »Wo ist er hin?«, fragte Hirō verblüfft.
    »Ich weiß nicht.« Tarō lüpfte eine Ecke des Teppichs.
    In diesem Moment drang Shūsakus Stimme aus dem Boden zu ihnen. »Unter dem Teppich«, sagte er, »ist eine Falltür.«
    Tarō hob den Teppich an, und tatsächlich, darunter kam eine kleine hölzerne Falltür mit einem schweren eisernen Ring zum Vorschein. Er zog daran und enthüllte eine Öffnung, die in die Dunkelheit hinabführte. Tarō setzte sich und schob die Beine in das Loch. Seine Füße ertasteten steinerne Stufen, die offenbar direkt in den Fels des Berges gehauen waren.
    »Unheimlich«, sagte Yukiko hinter ihm. »Da unten sind wir ja wie Hōichi  – blind und wahrscheinlich von Geistern umgeben.«
    »Danke«, entgegnete Tarō. »Jetzt fühle ich mich schon viel besser.«
    Er stieg ein paar Stufen hinab und hielt die Falltür mit einer Hand offen, damit Hirō und die Mädchen sich auch darunter hindurchquetschen konnten. Dann schlug die Tür über ihnen zu, und sie standen in völliger Dunkelheit.
    »Tastet euch an der Wand entlang«, erklang Shūsakus körperlose Stimme. »Bald werdet ihr mich sehen können.«
    Tarō ging weiter hinunter, gequält von dem scheußlichen Gefühl, in eine der Höllenwelten des Samsara hinabzusteigen: das Reich der Dämonen vielleicht. Die Dunkelheit war absolut, ein beinahe greifbares Ding, das auf seiner Haut lag wie schwere Seide.
    Etwas streifte ihn, und er verbiss sich einen Schrei, als er erkannte, dass es Hirō war, der nach seiner Hand gegriffen hatte und sie nun festhielt. Die Geste  – so schlicht, so kindlich  – ließ eine Woge der Zuneigung zu seinem alten Freund in ihm aufsteigen.
    »Ich habe dir das nie erzählt«, flüsterte Hirō, »aber ich fürchte mich im Dunkeln.«
    Tarō lächelte. »Ich auch. Aber es ist bald vorbei.«
    »Hast du gerade gesagt, dass du dich im Dunkeln fürchtest, Hirō?«, fragte Yukiko. »Dabei hatte ich so gehofft, dass der große, starke Ringer mich beschützen würde. Da habe ich mich wohl geirrt. Der große, starke

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