Der Novize des Assassinen: Roman (German Edition)
da fiel ihm plötzlich wieder ein, was das Mädchen gesagt hatte – die junge Dame, die sie gerettet hatten. Etwas über den Griff, der dicker sei als gewöhnlich. Stirnrunzelnd nahm er den Bogen von der Schulter und hielt ihn vor sich hoch, während er sich beeilte, mit den anderen Schritt zu halten.
Da war schon die ganze Zeit irgendetwas in seinem Hinterkopf …
Ihr Götter. Er klopfte an den Griff.
Ein dünnes, hohles Geräusch vibrierte den ganzen Bogen entlang, und er hätte schwören können, dass es von einem ganz leisen Klappern begleitet wurde.
Da steckt etwas drin , dachte er. Im Herzen des Bogens ist etwas verborgen.
Mit pochendem Herzen eilte er den anderen nach. Er musste daran denken, was die Äbtissin von der Buddha-Kugel erzählt hatte. Dass der Sohn der Ama ihr die Kugel gebracht hatte und diese sie wieder dort versenkte, von wo sie die Kugel aus der Tiefe geholt hatte. War es nicht möglich, dass eine andere Ama die Kugel wieder aus dem Meer heraufgebracht hatte? Er betrachtete den Bogen.
Was, wenn die Buddha-Kugel darin versteckt ist? , überlegte er. Die Idee war lächerlich, aber das galt auch für die Vorstellung, er könnte der Sohn eines Daimyō sein. Ihm wurde ein wenig schwindlig bei dem Gedanken, dass der Bogen womöglich aus zwei kostbaren Gaben bestand – eine von Tokugawa, die ihn identifizieren konnte, und eine weitere, die sogar noch mächtiger und magischer wäre.
Aber nein. Die Buddha-Kugel konnte es gar nicht wirklich geben, oder? Das war nur ein Märchen. Nicht einmal Shūsaku glaubte daran.
Trotzdem – wenn ich den Berg erreicht habe, werde ich den Bogen aufbrechen, selbst wenn ich dadurch meine einzige Verbindung zu meinem richtigen Vater zerstöre. Ich muss wissen, was darin verborgen ist.
Dann wurde Tarō von einem Schniefen abgelenkt. Zu seiner Überraschung sah er Heikō allein vor sich hergehen, mit roten Augen. Er beeilte sich, sie einzuholen, und sie drehte sich um und bemerkte ihn.
»Geht es dir gut?«, fragte er.
»Ja«, antwortete sie. »Es ist nur … die Äbtissin, weißt du? Und Shūsaku. Ich mache mir Sorgen um ihn. Ich will nicht, dass ihm etwas zustößt.«
»Shūsaku?«, fragte Taro verwirrt. Sich um Shūsaku zu sorgen erschien ihm irgendwie so, als fürchte man um ein Erdbeben oder einen Tsunami. Der Mann war ein Ninja .
Heikō seufzte. »Hast du nicht gehört, was die Prophetin gesagt hat? Und diese Tätowierungen – ich kann immer noch nicht fassen, dass er das getan hat. Er fordert das Schicksal förmlich heraus!« Sie sah ihn an, als wartete sie auf eine Bestätigung, doch er konnte nur mit den Schultern zucken. »Wegen Hōichi!«, fügte sie hinzu, als sei er schwer von Begriff.
»Es tut mir leid«, erwiderte Tarō. »Ich weiß nicht, wovon du sprichst. Bitte sag mir, was dir solche Sorgen macht. Falls Shūsakus Tätowierungen ihn irgendwie in Gefahr bringen, will ich darüber Bescheid wissen.«
»Du hast noch nie von Hōichi dem Ohrlosen gehört?«
Tarō schüttelte den Kopf.
»Er war ein blinder Musikant. Durch eine List wurde er dazu gebracht, für die Familie Taira auf seiner Biwa zu spielen und ihnen die Geschichte über ihre Niederlage gegen die Minamoto vorzutragen, in einer großen Seeschlacht.«
Tarō zuckte mit den Schultern. »Und?«
»Die Taira waren tot: Alle waren in der Schlacht umgekommen, selbst die Frauen und Kinder. Hōichi hat ihren Geistern vorgesungen. Und der Palast, in dem er zu spielen glaubte, war ihre Gruft. Er wusste nichts davon. Erst als ein junger Priester des Tempels, in dem Hōichi lebte, ihm zu dem Friedhof folgte, bemerkte jemand, was dort geschah. Und natürlich war er da schon ganz blass und schwach, weil er so viel Zeit mit den Geistern verbracht hatte.«
Tarō erschauerte bei der Vorstellung, wie der Blinde vor Toten spielte, ohne es zu ahnen. Er trug seine Lieder den Gaki der niederen Reiche vor, die man auch Hungergeister nannte und die nachts auf die Erde kamen, um sich von der Kraft der Lebenden zu nähren, weil sie im Tod so leer und gierig geworden waren.
»Jedenfalls«, fuhr Heikō fort, »versuchte der Priester, Hōichi zu helfen …« Sie hielt inne. »Das ist eine berühmte Geschichte. Und du hast sie tatsächlich noch nie gehört?«
»Nein.«
»Also wirklich. Was lehrt man Bauernjungen eigentlich heutzutage?«
Tarō lachte. »Ich kann sehr gut Kaninchen jagen.«
Heikō lächelte. »Also … Der Priester schrieb mit seinem Pinsel und Tinte auf Hōichis Haut –
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