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Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert

Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert

Titel: Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sobo
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und verließ den Hinterhof. Als er endlich leer war, kam wieder Leben in den Keller.
    »Na los«, sagte das Mädchen. »Hilf mir.«
    »Wie denn?«
    »Wie denn, wie denn! Gib mir mit deinen Händen eine Stütze.«
    »Wie denn?«
    »Räuberleiter!«
    »Und wie soll ich …«
    »Wenn ich draußen bin, ziehe ich dich hoch. Los, mach schon.«
    Das Mädchen öffnete das schmale Kellerfenster und stellte mich an den Sims der Luke. Ich konnte jetzt in den Hinterhof sehen. Die Luft schien tatsächlich rein zu sein.
    »Mach endlich«, hörte ich das Mädchen ungeduldig hinter mir.
    Der Junge hielt beide Hände zusammen, in die das Mädchen dann mit einem Fuß hineinstieg und sich zur Luke hinaufhangelte. Dann quetschte sie sich durch die enge Öffnung in den Hinterhof.
    Wieder waren Schritte zu hören.
    »Mist, da kommt jemand«, flüsterte das Mädchen, rappelte sich auf und rannte davon.
    »He!«, war aus dem Keller zu hören  – leise, als wäre der Junge sich selbst nicht im Klaren darüber, ob es ein Vorwurf oder Hilfeschrei sein sollte.
    Ich stand noch immer außerhalb der Luke auf dem Asphalt im Hinterhof und sah das Mädchen in der Hofeinfahrt verschwinden. Kaum war es fort, tauchte schon wieder Lars auf. Er wollte gerade die Kellertür öffnen, als er bemerkte, dass sie abgeschlossen war. Er stutzte, überlegte und wollte schon wieder umkehren, als er mich an der Luke stehen sah. Natürlich wunderte er sich. Aber nur ganz kurz, wie mir schien, dann kam er angerannt. Er packte mich, hielt mich in der Hand und spurtete los.
    »Komm, wir hauen ab«, sagte er, während er mit großen Schritten zur Hofeinfahrt hinauslief.
    * * *
    »Was willst du denn schon hier?«
    Eine resolut aussehende Frau mit einer Kittelschürze um den Bauch stand vor Lars und stemmte die Hände in die Hüften. Sie sah verwundert, aber kein bisschen erfreut aus.
    Das ist aber ein ungewöhnlicher Empfang , dachte ich.
    »Oma hat mich geschlagen«, sagte Lars und sah dabei so aus, als würden die Ohrfeigen noch immer wehtun.
    »Was?«
    Die Frau  – sie war Lars’ Tante, wie sich herausstellte  – stürmte ins Haus, griff zum Telefonhörer, wählte die Nummer der Großmutter und wartete.
    Es dauerte lange, bis eine Verbindung hergestellt war. Dafür war das Gespräch umso kürzer und heftiger. Ich hörte immer wieder, wie die Tante laut und unverständlich in den Hörer fauchte. Dann legte sie auf, kam zurück zu Lars und mir und sagte: »Oma sagt, du hättest sie bestohlen.«
    »Das stimmt nicht.«
    Stimmte auch nicht. Wenn schon, hatte Lars Rene bestohlen. Aber wenn man es genau nahm, gehörte ich ihm gar nicht. Außerdem hatte ich da auch noch ein Wörtchen mitzureden.
    »Und wenn schon«, sagte Lars’ Tante schließlich und strich ihm über den Kopf, was er überhaupt nicht ausstehen konnte. »Das ist noch lange kein Grund, zuzuschlagen.«
    Fand ich auch. Lars nickte ebenfalls.
    »Komm her, mein Kleiner.«
    Die Tante drückte ihren Neffen fest an sich. Zu fest.
    »Was ist das denn?«
    Offenbar hatte sie mich unter Lars’ Pullover gespürt. Nun hob sie den Pullover in die Höhe.
    »Mein Nussknacker«, sagte Lars und lachte.
    »Wo hast du den denn her?«
    »Gefunden.«
    Ich nickte. Jetzt lachten beide.
    »Ist Mama schon da?«, fragte Lars unbekümmert. Die Tante schien mit einem Mal beunruhigt zu sein, als müsste sie Lars dringend etwas sagen, würde sich aber nicht trauen. Sie druckste herum, räusperte sich mehrmals und sagte schließlich: »Wir reden später darüber.«

1961 – 1963, Templin, Uckermark, DDR
    Lars’ Mutter war nicht da. Sie kam auch nicht wieder. Sie kehrte von einer Geburtstagsfeier ihres Bruders, der zwei Jahre zuvor die DDR verlassen hatte und seither in Hof in Bayern lebte, nicht mehr zurück.
    Von da an wuchs Lars bei seiner Tante und deren Tochter Linda auf, was Lars ganz recht war. Linda ebenfalls. Die beiden konnten sich gut leiden. Sie waren ungefähr gleich alt und verbrachten viel Zeit zusammen. Beide gingen zum Eiskunstlauf und in die Theatergruppe ins Volksheim. Beide wollten Eiskunstläufer werden. Oder Schauspieler.
    Ich fand beides nicht so toll. Das eine war mir zu kalt, das andere zu hitzig, denn bei den Proben im Volksheim ging es immer hoch her, obgleich Linda und Lars mit anderen Kindern nur mit Puppen Theater spielten. Die Kinder bewegten bloß die Marionetten; sie selbst sah man auf der Bühne gar nicht. Aber hören konnte man sie.
    Zuerst saß ich bei Proben abwechselnd im Zuschauerraum oder in

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