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Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert

Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert

Titel: Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sobo
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waren.
    Das dauerte vielleicht zwanzig Minuten, in denen die drei Jungs keinen Mucks von sich gaben. Ich stand nach wie vor am Taubenschlag und beobachtete sie dabei. Sowohl die Jungs, als auch Frau Krumbiegel. Sie sah mich nicht. Als sie mit der Wäsche fertig war, steckte sie sich eine Zigarette an und blickte über den Dachrand hinunter zur Straße. Von unten drangen noch immer Geräusche protestierender Menschenmassen zum Dach hinauf. Frau Krumbiegel lachte gehässig und schnipste die Zigarettenkippe nach unten.
    Als Frau Krumbiegel wieder verschwunden war, hing das halbe Dach voll mit Unterhosen, Büstenhaltern, Socken und Unterhemden. Die Jungs kamen wieder aus ihrem Versteck gekrochen, während von der Straße plötzlich das Protestgeräusch zuzunehmen schien. Gebrüll war zu hören, und das Heulen von Sirenen.
    Die Jungs beugten sich erneut über das Geländer am Dachrand. Sie sahen, wie unten auf der Straße Polizisten und Demonstranten aneinandergerieten. Ich stand noch immer am Taubenschlag und sah es ebenfalls.
    »Kommt!«, rief Sandro. »Da unten ist der Teufel los!«
    Er sprang vorneweg. Die anderen beiden folgten. Sie verschwandenhinter der aufgehängten Wäsche. Dann fiel eine Tür ins Schloss, und ich blieb alleine auf dem Dach zurück.
    Mich hatten sie vergessen. Ich wusste nicht, ob ich mich darüber freuen oder eher traurig sein sollte.
    * * *
    Die drei Jungs kamen immer seltener aufs Dach. Dafür kamen andere umso öfter. Vor allem ein junger Mann. Er erschien immer am Abend und zog sich mit einem Fernglas und einem Kopfhörer in den Verschlag zurück, der aus alten Türen zusammengezimmert war. Von da starrte er dann, meist mit dem Fernglas vor den Augen, aus der Luke des Verschlags nach draußen. Er beobachtete, was hinter den Fenstern eines Hauses direkt gegenüber auf der anderen Straßenseite geschah. Da wohnte ebenfalls ein junger Mann. In der Wohnung spielten sich manchmal seltsame Szenen ab. Großes Theater war da zu sehen, von Streit, Handgreiflichkeiten, bis hin zu wilden Partys und Intimitäten. Das alles schrieb der Mann im Verschlag in ein Büchlein.
    Ziemlich schnell wurde mir klar, dass er ein Spitzel sein musste, der im Auftrag andere Leute ausspionierte. In diesem Fall den jungen Mann gegenüber. Warum, leuchtete mir allerdings nicht ein.
    Einmal kam der Spitzel mit einem anderen Mann auf das Dach. Beide schauten nur ganz kurz durch das Fernglas. Dann rauchten sie gemeinsam eine Zigarette und redeten komisches Zeugs.
    »Wenn Sie so weitermachen, Oberfeldwebel Klausner, müsste das bei unserer Zielperson bald für eine Festnahme reichen.«
    »Ich denke auch, Hauptmann Gröbe.«
    »Da kommt ja schon einiges zusammen.«
    »Jawohl, Hauptmann Gröbe.«
    Sie drückten die Zigaretten aus und schüttelten sich die Hände. »Ach, was ich Sie noch fragen wollte …«
    »Ja, Herr Hauptmann?«
    »Stehen Sie eigentlich auf Frauen, Oberfeldwebel Klausner?«
    »Wie meinen Sie das, Herr Hauptmann?« Klausner wirkte verwirrt.
    »Ich meine, ob Ihre sexuelle Präferenz weiblich oder männlich ist?«
    Was geht denn hier ab? , dachte ich.
    Oberfeldwebel Klausner schien ein wenig rot zu werden.
    »W-w-weiblich«, stotterte er.
    Ich hatte das Gefühl, dass Klausner log. Auf jeden Fall hörte es sich so an. Auch der Hauptmann schien Zweifel zu hegen.
    »Sind Sie sicher?«
    »J-j-ja.«
    Der Hauptmann blickte ihn ernst an. »Dann ist es ja gut.« Er klopfte ihm auf die Schulter und lachte. »Weitermachen. Ich erwarte Ihren Bericht, Genosse.«
    Er verschwand hinter der Tür und ließ den Oberfeldwebel alleine auf dem Dach zurück.
    »Idiot!«, schimpfte Klausner leise vor sich hin, setzte sich wieder in die Bretterbude und schaute durchs Fernglas, den Kopfhörer auf den Ohren.
    * * *
    Tagsüber war auf dem Dach einiges los. Der Taubenzüchter kam jeden Tag. Er fütterte seine Tauben, rauchte ab und zueine Zigarette und wechselte mit der dicken Frau, die jeden zweiten Tag Wäsche aufhängte, ein paar Worte. Bei den Gesprächen sah die Frau oft verlegen zu Boden oder kicherte dümmlich.
    Manchmal redete der Taubenzüchter auch mit seinen Tauben. Er holte eine weiße Taube aus dem Käfig, die am Bauch einen schwarzen Fleck hatte, hielt sie in der Hand und sagte: »Bald lass ich dich fliegen, Guzzilein, ja? Dann fliegst du zu Ruth hinüber, nach Westberlin, und bringst ihr einen Gruß von mir, ja?«
    Die Taube gurrte, als verstünde sie ihn. Er drückte der Taube einen Kuss auf den Kopf und ließ sie zurück

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