Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert

Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert

Titel: Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sobo
Vom Netzwerk:
schmuggelte sich ein so breites Grinsen in ihr Gesicht, dass man ihr einen Topfdeckel hätte in den Mund schieben können.Dann zog sie mich aus dem Schulranzen und reichte mich dem Mann. Der sah mich an, lachte und zeigte dabei seine perlweißen Zähne. Er schüttelte den Kopf und gab mich Lotte wieder zurück. Ihr Grinsen verschwand, aber sie gab sich nicht geschlagen. Sie kramte in ihrem Ranzen herum, wobei sie den Mann genau im Auge behielt, und holte eine Kaffeetasse hervor. Der Soldat nahm die Tasse, spuckte auf das Porzellan, wischte mit dem Ärmel auf dem Tassenboden herum und fragte:
    »How much?«
    »Zehn Zigaretten!«
    Er grinste wieder.
    »Five!«
    »Sieben!«
    Er lachte. Dann fingerte er in seiner Jackentasche herum, holte eine halbvolle Packung Lucky Strike heraus und gab sie Lotte.
    »Und einen Kaugummi!«
    Er verstand nicht. Lotte öffnete und schloss mehrmals schnell hintereinander den Mund.
    »Ah, chewing gum!«
    Lotte nickte. Der Mann lachte wieder, griff erneut in die Jacke und gab ihr einen Kaugummi.
    »Thanks!«, sagte Lotte und ging davon.
    Anschließend stiegen wir wieder in die Stadtbahn und fuhren eine Runde durch die Sektoren. In der russischen Zone stieg Lotte aus. Sie fuhr mit einer anderen Bahn weiter bis zur Endstation. Dann ging sie ein kurzes Stück auf einem Schotterweg in der prallen Sonne, bis sie schwitzend und mit rotem Kopf an einen See kam. Am ufer lag ein kleines Boot vertäut und wippte auf dem ruhigen Wasser.
    »Opa!«
    Vögel flogen auf. Enten schnatterten. Ein Opa war nicht zu sehen.
    »Opa!« Lotte rief es jetzt, so laut sie konnte.
    Noch mehr Vögel machten sich davon. Die Enten schnatterten jetzt so aufgeregt, als wäre Lottes Opa aus Mürbeteig und ins Wasser gefallen.
    »Komme schon!«
    Zuerst hörte ich eine knarzende Stimme, dann fing das Boot heftig zu wippen an. Schließlich tauchte an Bord ein Kopf auf, dann ein Körper. Und was für einer! Die Enten verstummten. Die Vögel flogen ans ufer zurück. Der Mann war riesengroß. Er hatte einen Bauch wie ein Ballon und einen langen grauen Bart, der fast bis zum Bauch reichte. Auf dem Kopf war kein einziges Haar mehr.
    »Na, wie geht’s meiner Prinzessin?« Der Mann kratzte sich am Bauch, über dem sich ein schmutziges Unterhemd spannte. »Hast du mir was mitgebracht?«
    Lotte zog zwei Zigaretten aus der Packung und reichte sie ihrem Opa.
    »Du weißt doch, dass ich ums Verrecken keine amerikanischen Kippen rauche, Prinzessin«, sagte er, steckte sich dabei aber eine davon an.
    Lotte schmunzelte. »Ich weiß, Opa. Das ist für dich der Feind!«
    Der Opa nickte.
    »Und für mich bist du der Feind«, sagte Lotte vergnügt.
    Der Opa nickte wieder und grinste.
    Das soll einer mal verstehen , dachte ich, während Lotte und ihr Opa herzhaft lachten.
    »Bloß gut, dass wir zwei Feinde uns so prima verstehen«, sagte Lottes Opa und küsste seine Enkelin auf die Stirn. »Komm rein!«
    Lotte hüpfte über die Reling auf das Boot. Dann stiegen beide die steile Treppe hinunter in die Kajüte. Lotte setzte sich auf die Bank. Ihr Opa stellte eine Limonade auf den Tisch und legte eine Tomate und ein Stück Brot dazu.
    »Iss! Hast heute bestimmt noch nichts gehabt!«
    Lotte schlang zuerst die Tomate, dann das Brot herunter, als hätte sie seit Tagen nichts zu essen bekommen. Anschließend trank sie das Glas Limo in einem Zug leer.
    »Und zu Hause?«, fragte der Opa, der sich die zweite amerikanische Zigarette ansteckte.
    »Mama ist Trümmer schaufeln, und Ernst ist bei den Amis.«
    »Schicken die immer noch ihren Plunder rüber?«
    Lotte nickte.
    »Sollen ihren Mist doch selbst behalten!«
    »Das ist kein Mist, Opa. Das sind Carepakete mit Lebensmitteln, Kleidung, Haushaltswaren und Spielzeug.«
    »Na ja, ich weiß nicht«, sagte der Opa missmutig.
    »Ich aber.«
    Der Opa sah sie aus schmalen Augen zweiflerisch an. Dann lächelte er wieder. »Dickkopf!«
    »Selber!«
    Jetzt lachte der Opa so laut auf, dass die ganze Kajüte vibrierte. Er schlug sich zweimal kräftig auf die Schenkel, dass es klatschte. »Aus demselben Schrot und Korn!«
    Jetzt lachten beide. Danach stand Lotte wieder vom Tisch auf und sagte: »Ich geh dann mal wieder!«
    Sie hüpfte über die Reling hinweg ans ufer.
    »Pass auf dich auf, Prinzessin!«
    »Du auch.«
    »Da kannst du Gift drauf nehmen.«
    Der Opa überlegte kurz. »Warte mal!«, sagte er dann und verschwand wieder unter Deck. Als er zurückkam, hielt er drei Tomaten, zwei kleine Äpfel und ein Ei in der

Weitere Kostenlose Bücher