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Der Olivenhain

Der Olivenhain

Titel: Der Olivenhain Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Courtney Miller Santo
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der deutlich sichtbare Schweißflecke unter den Achseln hatte. »Mutter, dir tut die Hitze auch nicht gut. Du siehst sehr mitgenommen aus«, sagte sie zu Anna.
    Anna schüttelte den Kopf und zog ihre Strickjacke fester um die Schultern. »Mir ist nicht warm.«
    »Und was ist mit dir, Erin?«
    Erin zuckte zuerst mit den Achseln, doch als sie den besorgten Blick des Schnurrbärtigen bemerkte, sagte sie: »Ja, es ist wirklich furchtbar heiß hier drinnen, vielleicht könnte man einen Ventilator …?«
    »Einen Ventilator!«, rief Bets und klatschte in die Hände. Beide Ausschussmitglieder blickten sie an, und der Wachmann nickte, ohne Bets anzusehen. Noch bevor die Sache geklärt war, ging die Tür auf, und Deb betrat den Raum in Begleitung ihres Anwalts.
    Sie trug statt ihrer Häftlingskleidung einen gelben Baumwollpulli mit Rosenmuster und darunter eine langärmlige, blassrosa Bluse mit Schmutzflecken an den Ärmeln. Erin sah ihre Mutter zum ersten Mal außerhalb der Besuchszeiten, und erst jetzt wurde ihr klar, dass Debs ungepflegtes Äußeres nicht selbst gewählt war.
    Aufmerksam verfolgte Erin, wie Deb den Raum durchquerte und auf einem Klappstuhl am anderen Ende des Tisches, den Ausschussmitgliedern gegenüber, Platz nahm. Sie hatte sich Ringellocken ins schwarze Haar gedreht und Rouge aufgelegt, das einen grellen Stich ins Orangefarbene hatte und dick, aber ungleichmäßig aufgetragen war. Ihre Augenlider wurden von zu viel Wimperntusche und leuchtend blauem Lidschatten erdrückt. Sie sah aus wie eine verwirrte Frau, die eigentlich in eine Nervenheilanstalt gehörte.
    »Hat sie denn nicht in den Spiegel geschaut?«, fragte Bets. »Sie muss das wegwischen, bevor es losgeht.« Durch lautes Räuspern und Wedeln mit dem Taschentuch versuchte sie, Debs Aufmerksamkeit zu erregen.
    »Bitte keine Kommunikation mit der Gefangenen, das ist nicht erlaubt!«, mahnte der Wachmann, der Deb hereingeführt hatte.
    Deb sah zu den dreien herüber und schüttelte unwirsch den Kopf. Ihr Blick blieb an Erin hängen, die wegsah und dann die Hand auf ihren Bauch legte. Bisher hatte ihre Mutter ihren Bauch noch nicht gesehen.
    »Ich habe schon ganz vergessen, dass sie die Augen ihrer Mutter hat. Sie leuchten heute besonders blau«, sagte Anna.
    »Es sind eindeutig Franks Augen, ich wüsste nicht, von wem sie die sonst haben sollte.« Bets’ scharfe Zurechtweisung wirkte wie ein Stück Normalität in dieser seltsamen Situation, und Erin fühlte sich in dem stickigen, fensterlosen Raum etwas weniger fremd.
    »Warum hat ihr denn keiner geholfen? Wir hätten ihr wenigstens etwas Geschmackvolleres zum Anziehen schicken können. Meine Mutter läuft herum wie ihre eigene Großmutter!«, sagte Erin. Es wäre die Aufgabe des Anwalts gewesen, sie angemessen auf die Verhandlung vorzubereiten, doch er hatte weder ordentliche Kleidung noch ein gepflegtes Make-up erwähnt. Sie hätten sich doch von jemand, der Erfahrung mit Bewährungsverfahren hatte, beraten lassen können, aber ihre Großmütter wollten wahrscheinlich kein Geld dafür ausgeben. Erin ballte die Fäuste.
    Anna tätschelte ihr sachte den Rücken. »Nur die Ruhe, das ist doch alles unwichtig. Nimm Blickkontakt mit dem Ausschuss auf und zeige ihnen, dass Debs Familie geschlossen hinter ihr steht. Sie sollen den Mensch in ihr sehen, nicht die Mörderin.«
    Erin fand Annas klare Worte merkwürdig. In all den Jahren, die sie in Hill House gelebt hatte, hatte sie immer den Eindruck gehabt, dass die drei sich sicherer fühlten, seit Deb im Gefängnis war. Callie hatte ihre Tochter nicht ein einziges Mal besucht und es auch Erin erst gestattet, als sie auf die Highschool kam. Nur Bets, in Erins Augen die hartherzigste der drei Frauen, fuhr regelmäßig nach Chowchilla, um Deb zu besuchen. Bets setzte schließlich sogar gegen Annas und Callies Willen durch, dass Erin, nachdem sie den Jugendführerschein gemacht hatte, endlich mitkommen durfte. Bis heute wusste Erin nicht, aus welchem Grund die beiden anderen plötzlich zugestimmt hatten, sie erinnerte sich nur, dass Anna damals sagte, die vierstündige Fahrt sei Bets allein nicht mehr zuzumuten.
    Bets reichte dem Anwalt ihr Taschentuch und bedeutete ihm, er möge Deb dazu bringen, etwas von dem Make-up wegzuwischen. Sie fragte sich, warum sich Bets so verantwortlich für Deb fühlte, aber mit ihrer eigenen Tochter Callie kaum ein Wort wechselte. Beide Frauen bemühten sich zwar, das vor Erin zu verheimlichen, doch jede wusste, dass sich Bets

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