Der Olivenhain
Erin stellte sich gerne vor, dass ihr Vater auch von ihr sprach, doch wie sie es auch drehte und wendete, es passte nicht ins Skript. Es wäre schlicht unglaubwürdig, dass er von ihrer gemeinsamen Tochter sprach und Deb ihn daraufhin erschoss. Manchmal deichselte sie die Geschichte aber so hin, dass ihr Vater es verdient hatte, erschossen zu werden.
»Woher soll ich wissen, ob dieser kleine Bastard überhaupt von mir ist?«
Manchmal redete er wie Shane, der im Film zu Joey sagt: »Kümmre dich um sie. Sorge dafür, dass sie ein anständiges Mädel wird, wenn ich nicht mehr da bin. Später kannst du’s ihr dann erklären.«
Jedenfalls eskalierte der Streit. Mrs. Castellos Bilder fielen der Reihe nach von den Wänden, und auf den Fotos von der Festnahme hatte Deb aufgeplatzte Lippen und eine geschwollene Backe.
Der erste Schuss traf Carl von hinten in die linke Schulter. Es war ein glatter Durchschuss, die Kugel wurde später von der Spurensicherung in der massiven Holztür entdeckt. Er muss sich dann umgedreht und versucht haben, Deb die Waffe zu entreißen.
Der zweite Schuss ging durch seine rechte Hand und traf ihn im Oberschenkel. Er fiel zu Boden und brüllte wie ein Stier. Er flehte Deb an aufzuhören, doch sie sah auf ihn hinab und feuerte die dritte, vierte und fünfte Kugel auf den Lendenbereich. Er verlor das Bewusstsein, denn der Oberschenkelschuss hatte die Hauptschlagader getroffen. Die Polizei war bereits unterwegs. Nach dem ersten Schuss hatte der Nachbar von unten sie alarmiert.
Die sechste Kugel zielte direkt auf sein Herz. Während sie abdrückte, lag Deb auf ihm, denn hinterher wurden sowohl an seinem Hemd wie auch an ihrer Bluse Schmauchspuren gefunden. Als hätte sie sich ein letztes Mal an die Brust ihres Mannes geschmiegt und dann geschossen.
Beim Eintreffen der Polizei lag sie nicht mehr auf ihm. Als sie die Sirene gehört hatte, war sie aufgesprungen, hatte die Waffe in die Tasche ihres Kleides gesteckt, die Tür zur Kleiderkammer geöffnet und sich neben die schlafende Erin gelegt.
Manchmal erinnerte sich Erin daran, dass sie gleich beim ersten Schuss wach geworden war und ihre Mutter hinterher reinkam, um sie wieder in den Schlaf zu wiegen. Aber meistens nicht. Doch ganz gleich, wie es wirklich war, so eng aneinandergekuschelt hatten sie immer bei Grandma Callie im Haus geschlafen. Doch von nun an kroch Erin jedes Mal, wenn ihre Mutter ihr nahe war, der Geruch von Schießpulver in die Nase.
7.
Erins Auftritt
E s tut mir leid, so unendlich leid«, flüsterte Deb, als Ms. Rivera die drastische Schilderung des Tathergangs beendet hatte. Erst hatte es wie ein leises Gurgeln geklungen, doch je mehr Schüsse fielen, desto lauter hörte man Deb schniefen und um Verzeihung bitten. Sie sah zu Carls Familie hinüber und hätte am liebsten um Gnade gewinselt, doch der Anwalt legte ihr die Hand auf den Arm und reichte ihr Bets’ Taschentuch. Deb gab kein gutes Bild ab.
Erin merkte, wie sich die Stimmung langsam gegen sie wandte. Ihre Mutter musste sich unbedingt wieder fangen, bevor Ms. Rivera das psychologische Gutachten verlas. Der jüngere der beiden Männer schien schon ziemlich genervt von den Tränen, jedenfalls schüttelte er den Kopf, legte seinen Stift weg und hörte Ms. Riveras Ausführungen nicht mehr zu. Der Ältere mit der Narbe am Unterarm beugte sich zu ihm hinüber und flüsterte etwas, dann blickten beide zu Carls Mutter. Mit zusammengepressten Lippen hatte sie den Kopf zur Seite gedreht und sah verbittert zu Boden.
Erin konnte nur beten, dass die Ausschussmitglieder in ihr nicht die eigene Mutter sahen. Hoffentlich hatten sie warmherzige, liebevolle Mütter mit freundlichen Gesichtern, die nicht aussahen, als hätten sie eben in eine Zitrone gebissen. Carls Mutter spürte ihren Blick, doch anstatt ihre Gesichtszüge zu lockern – was ihr etwas Verletzliches gegeben hätte –, beugte sie sich plötzlich vor und zischte Deb zu: »Spar dir deine Entschuldigungen, meine Liebe. Die helfen dir jetzt auch nichts mehr.«
Ein Wachmann eilte herbei und blieb im Mittelgang zwischen den beiden Familien stehen. Deb riss sich zusammen, wischte sich mit dem Taschentuch die Tränen aus dem Gesicht und damit auch einiges von dem Make-up. Erin spürte, dass sich die Stimmung nun gegen Carls Mutter drehte. Mit dem hoffnungsvollen Gefühl, dass die Kommission auf ihrer Seite war, bereitete sie sich auf ihren Auftritt vor.
Während Ms. Rivera die Haftrichter bat, das psychologische
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