Der Olivenhain
unbedingt verhindern, dass Erin auch eine von diesen Frauen wurde.
Also versuchte sie es mit guten Ratschlägen. Wenn sich Erin unbehaglich wand, erklärte sie ihr: »Du musst dich beim Schlafen auf die Seite legen, das entspannt das Kreuz.«
Bei Erins Geburtsvorbereitungen erzählte sie ihr von ih ren eigenen und versicherte ihr, dass Geburten bei den Keller-Frauen immer problemlos abliefen. »Das geht ganz schnell, keines der Kinder ist je im Geburtskanal stecken geblieben. Bei dir hatte ich nicht einmal mehr Zeit, ein Medikament zu schlucken. Ein paar Mal pressen, und schon warst du da, mit deinem schmalen Kopf und einem Mündchen wie eine kleine Rosenknospe.«
Schweigen.
»Du hast miaut wie ein Kätzchen. Die Schwestern haben immer gelacht, weil dein zartes Wimmern klang, als wolltest du sagen: Tut mir leid für die Unannehmlichkeiten, aber ich fürchte, ich habe Hunger.«
Erin sah sie unter dem nachwachsenden Pony finster an. »Ich werde keine Medikamente nehmen, das schadet dem Baby.«
Kurz vor dem Geburtstermin wurden alle plötzlich leiser, im ganzen Haus wurde angestrengt auf das erste Anzeichen einsetzender Wehen gehorcht. Wenn Erin auf dem verschlissenen Sofa im Wohnzimmer einen Mittagsschlaf hielt, ließ Deborah sie keinen Moment aus den Augen. Manchmal wachte Erin zwischendurch auf und schien die beklemmende Atmosphäre im Haus vergessen zu haben. Dann strahlte ihr ganzes Gesicht vor Freude.
»Weißt du«, sagte Deborah eines Nachmittags im Mai, als sie aus dem Pit Stop kam, »auch ich hatte Angst vor dem, was auf mich zukommen würde, und wollte alles genau planen. Aber ich konnte mir nicht vorstellen, wie es wirklich ist, wenn du da bist. Vielleicht war ich damals einfach zu jung.«
»Da bist du nicht die Einzige«, erwiderte Bets. »Alle machen diesen Fehler bei ihrer ersten Geburt.«
»Und danach schwörst du dir, dass du das nicht noch einmal mitmachst«, ergänzte Anna, und kleine Lachfältchen bildeten sich um ihre Augen.
Callie kam zur Haustür herein und stemmte sich schwer auf ihr gesundes Bein. »Was für ein Tag!«, stöhnte sie. Sie hörten, wie sie in die Küche stampfte und den Wasserhahn aufdrehte. Deborah wusste, dass sie erst mal die Hand voll Tabletten, die sie kurz vor dem Hereinkommen geschluckt hatte, mit Wasser hinunterspülen musste.
Die heitere Stimmung war wie weggeblasen. Alle wandten sich wieder anderen Beschäftigungen zu. Deborah betrachtete ihre Tochter, die sich einen Songwettbewerb im Fernsehen ansah, und hörte, wie ihre Mutter kicherte, während sie mit dem Doktor aus Pennsylvania telefonierte.
Das nächste Gespräch mit der Bewährungshelferin lief nicht gut. Deborah fühlte sich völlig überrumpelt, denn erst sollte sie ohne Vorankündigung einen Drogentest machen, und dann kam ihr Ms. Holt auch noch mit dem Ratschlag: »Sie sollten sich dringend mit Ihrer Mutter aussprechen.«
»Habe ich Ihnen nicht gesagt, dass meine Mutter tablettensüchtig ist?«
Ms. Holt spitzte die Lippen. »Ihre Mutter bekommt Schmerzmittel, und Sie nehmen Antidepressiva. Wo ist da der Unterschied?«
»Als Kind war mir das nicht klar, erst im Knast habe ich es dann kapiert. Da hatte ich es tagein, tagaus mit Süchtigen zu tun. Die Pillenschlucker waren die Allerschlimmsten.«
»Seien Sie nicht so hart mit anderen, Deborah. Sie wissen doch, je unerbittlicher Sie urteilen, desto höher sind die Erwartungen, die man an Sie stellt. Erwartungen zu entsprechen, muss man in Ihrer Familie erst noch lernen.«
»Trotzdem«, sagte Deborah und kaute auf ihren Wangen herum. »Bis wann haben Sie die Ergebnisse des Drogentests?«
Ms. Holts Augen verengten sich zu Schlitzen. »Muss ich mir deshalb Sorgen machen?«
In dem Moment klopfte es. Deborah drehte sich um und sah ihre Mutter im Türrahmen stehen. Bevor sie es verhindern konnte, hatte Ms. Holt sie schon gebeten, neben Deborah Platz zu nehmen.
»Die Wehen haben eingesetzt«, sagte Callie.
Deborah blickte zu Ms. Holt – in der Hoffnung, endlich gehen zu dürfen. »Gut, bringen Sie die Sache in Ordnung«, sagte Ms. Holt nur und winkte sie hinaus.
Während der fast einstündigen Fahrt nach Kidron tauschten die beiden nur Höflichkeitsfloskeln aus. Callie fragte, ob Deborah mit dem Radiosender einverstanden sei, Deborah schlug vor, die Klimaanlage einzuschalten. Dann versicherten sie sich gegenseitig, dass die Geburt bestimmt ohne Komplikationen verlaufen würde.
Die grelle Nachmittagssonne schien erbarmungslos ins Auto, und wie sie
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