Der Opal
verwandelt, das die Neuankömmlinge aus einem starren, schwach reflektierenden Glaskörper heraus anglotzte. Jetzt war Latil wirklich wach.
Haku hob eine Art Gewehr mit einem sehr kurzen Lauf an seine Schulter und schoss. Eine Zeit lang passierte nichts, außer dass sich die Plattformen gegen den Wind stemmten, der sie von dem Auge wegbewegen wollte. Doch dann wuchsen aus dem Rand des großen Glaskörpers plötzlich leuchtende Strukturen, die wie kleine Bäume aussahen, und verzweigten sich mit rasender Geschwindigkeit. Bald schon war das ganze Kommando von einem Netzwerk feiner Ästchen überspannt, und je dichter das Netz wurde, desto mehr nahm der Wind ab. Das Netz bildete eine sackförmige Struktur um alle Plattformen herum, und als es völlig geschlossen war, begann dieser Sack sich von seinem äußersten Ende her wieder einzuziehen und trieb die Plattformen wie eine kleine Viehherde auf die gigantische Glaslinse zu. Die vorher makellose Linse zersprang in sechs gleichförmige Teile, die sich lautlos vor dem eindringenden Kommando zurückzogen, wie sechs sehr breite und dicke Klingen aus Glas. Sie befanden sich einem hohen Gang von fahlroter Farbe, in dem es weder Wind, noch Eis, noch all die anderen unangenehmen Erscheinungen aus der Kiemenröhre gab, dafür aber ein schwarzes Band am Boden, das aussah, nun ja, wie ein Weg. Haku sprang als erster ab, mitten auf das schwarze Band.
»Kommt herunter«, sagte er mit einer leicht zittrigen Stimme, die sich rasch festigte. »Wir sind in Sicherheit.«
Latil hielt diese Behauptung Hakus für eine Beleidigung ihrer Intelligenz, aber sie sprang trotzdem als eine der Ersten von der Plattform. Als sie auf dem Boden landete, gab er ein trockenes Geräusch von sich. Architektur oder Haut? Diese Frage hatte keine Bedeutung. Ob die ST ein Tier oder eine Maschine war, spielte letztendlich keine Rolle, sie wollte das Kommando nicht hier haben und ließ es nur deswegen zu, weil sie dazu gezwungen wurde. Darauf kam es an: auf Vorsicht in einer Umgebung, die sie essen wollte. Wenn sie nur gewusst hätte, von was genau die Gefahr ausging.
»Wo sind wir?«, fragte Eytarri, der neben ihr gelandet war. Er fragte offensichtlich nicht sie, sondern Haku, der einige Schritte entfernt stand, aber Haku war zu beschäftigt, um zu antworten. Er lenkte eine der Lastenplattformen mit einer Fernsteuerung. Die Glaslinse öffnete sich noch einmal, gerade weit genug, um die Plattform hindurchzulassen. Die Plattform verschwand aus dem Sichtfeld, und als Latil gerade fragen wollte, was er da tat, sagte Haku: »Helm.«
In einem der oberen Segmente von Latils Helmvisier entfaltete sich die Szene, die von der Kamera auf der gerade losgeschickten Lastenplattform eingefangen wurde. Latil sah eine dunkle, senkrecht aufstrebende Wand, davor den eng begrenzten Horizont der Plattform, hellgrau, mit den kegelförmigen Aufbauten, die Latil schon kannte: Staub. Die Plattform kroch eine Weile automatisch an der Wand entlang, senkte sich dann ab, schien sich an der Wand festzusaugen, festzukleben, schaltete die Statusanzeigen auf den Kegelspitzen von Grün auf Gelb und tat dann gar nichts mehr.
Haku sah hinter seinem Visier aus, als prüfe er etwas, dann öffnete er es und rief laut und deutlich: »Zehn Tage Standard. Nur ich kann das hier bedienen. Vergiss das nicht.«
Latil begriff, dass Haku mit der ST gesprochen hatte, nicht mit ihr oder dem Rest des Kommandos.
»Wo sind wir hier?«, fragte Eytarri noch einmal, im Tonfall eines erstaunten Kindes.
»Fast am Ziel«, sagte Haku, und Latil hätte ihn dafür ohrfeigen können. Sie vergewisserte sich: Die Statusanzeigen waren auf Rot gesprungen. Haku, der Mann, der nichts dem Zufall überließ. Wie schön.
Warum hatte Haku nicht eine größere Armee zusammengestellt, um die ST zu überfallen? Es gab mehrere mögliche Antworten. Erstens war eine kleine Einheit leichter überschaubar. Zweitens konnte es sein, dass Haku nur Freunde zu dieser Veranstaltung eingeladen hatte, loyale Taan, denen er persönlich traute. Drittens, und diese Antwort machte Latil am meisten zu schaffen, war es denkbar, dass Haku keine große Armee brauchte, weil er genau wusste, wo er Eline zu suchen hatte. Dann wäre das Kommando im Grunde nichts weiter als Hakus Geleitschutz auf dem Weg zum Triumph. Und genau so benahm sich Haku: Wie ein exilierter Prinz, der in sein eigenes, von fremden Kräften usurpiertes Land eindringt, um sich wieder auf seinen Thron zu setzen. Wie lange war
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