Der Opal
Maschinerie, die diese ›Stadt‹ steuerte und belebte, nicht arbeitete. So war zum Beispiel eine der ersten ›Straßen‹, die Latil sah, mit Flächen übersät, in die man seine Hand einpassen konnte, wenn man sich hinkniete. In einigen Fällen spürte sie, wie eine gewisse Wärme ihrer Hand entgegenkam, in den meisten anderen passierte gar nichts. Winzige, in zentimeterdickes Glas eingegossene Bildschirme, über die man auf diesen Straßen hinweglief, erwachten zum Leben, aber nur um statische Bilder der unmittelbaren Umgebung zu zeigen. Die Ausnahmen von dieser Regel blieben völlig blank oder zeigten jeweils nur eine monochrome Farbfläche. An einer der Terrassen befand sich eine anscheinend in Stein gehauene Inschrift, die vor allzu tiefem ›Eintauchen‹ warnte. Kein Wasser im weiten Umkreis und auch sonst nichts, in das Latil gerne hätte eintauchen mögen – dass die Terrasse regelmäßig geflutet wurde, war unwahrscheinlich, wenn man bedachte, dass sie nach drei Seiten hin offen war. Stattdessen in unregelmäßigen Abständen schwarze Stelen, die am unteren Ende mit einem Dornenkranz und am oberen mit einer milchigen Kugel verziert waren. Ein gigantischer gewölbter Bildschirm zeigte nichts als ölig verschlierende Tropfen in zehntausendfacher Vergrößerung. Die schwarzen Tropfen trennten sich, liefen ineinander, trennten sich wieder, immer derselbe Vorgang, immer andere Muster.
Manchmal kamen die fliegenden Tiere aus dem Himmel über der Stadt herab, um die ›Gebäude‹, die ›Straßen‹, die ›Terrassen‹ zu inspizieren. Sie waren etwa eulengroß und sahen wie mutierte Libellen aus. Ihr fiel auf, dass diese Libellen nie in der Stadt landeten, wie tief sie auch herabkamen. In einem Fall hielt eine von ihnen sich schwebend über Latil auf, etwa eine Minute lang, vielleicht drei Meter entfernt. So bizarr sie auch aussahen, Latil hatte keine Angst vor ihnen. Als Eytarri plötzlich mit seiner Stabwaffe auf eine der Libellen zeigte und »Kameras« sagte, dachte sich Latil, dass sie darauf auch selbst hätte kommen können. Was diese Stadt anging, schienen alle anderen genauso ratlos wie sie, von Haku einmal abgesehen, der umherging, als kenne er das alles. Aber auch er wollte ihr keine Auskunft über die Bildschirme, die Stelen, die unbegreiflichen Inschriften geben, und nach kurzer Zeit hörte sie frustriert auf zu fragen. Haku ließ alles von drei fliegenden Kameras filmen, auch die Libellen, die die Kameras filmten.
Eine Geisterstadt, aber wo waren die Geister? Was an Technik noch funktionierte, machte einen so hemmungslos autistischen Eindruck, dass sie sich davon nicht bedroht fühlte. Die Libellen, ob sie nun Tiere oder Automaten waren, flößten ihr keine Furcht ein. Nur die Abwesenheit der Bewohner und das unverändert fahle Totenlicht, das anthrazitfarbene Schatten über das aufgehäufte Silber warf und negative Auswirkungen selbst auf den Schall zu haben schien, machten ihr Angst. Latil hatte in ähnlich fremden Umgebungen überlebt, der insektoide Tagesablauf der Sayakh zum Beispiel war ähnlich surreal gewesen wie diese Stadt, und die eine Nacht, die sie in der ›Gastzelle‹ einer unterirdischen Dolza-Kolonie verlebt hatte, würde ihr wohl auch immer in Erinnerung bleiben, aber die endlose Stille und das kotige Licht hier unten machten sie mürb. Sie inspizierte gerade eine der braunen Wände, die die silbernen ›Siedlungen‹ haushoch überragten, als Haku Alarm gab und sie über die Visiernavigation in den Helmen zu einem kleinen Platz im Zentrum der Siedlung dirigierte. Die ›Häuser‹ dieser Siedlung hatten konkave Wände und schienen mit schweren Platten aus einem Stück schmutzigem Silber gedeckt zu sein, keine Türen, keine Fenster, nichts dergleichen, stattdessen immer dieselben Bohrungen dicht unter dem Dach, in immer der gleichen Anzahl: fünf pro Wand. Diese sinnlosen Häuser umstanden den kleinen Platz wie Wächter, und die übertragenden Wände schienen das Geschehen zu beobachten. Fünf Augen pro Wand.
Alles Unsinn, dachte Latil, als diese Assoziationen durch ihr Gehirn schwammen, seltsam verlangsamt, wie bei einer heraufziehenden Krankheit. Die einhundert Taan traten sich auf dem kleinen Platz fast auf die Füße. Er war nicht für große Menschenmengen gemacht, und sofort fühlte sie sich klaustrophob.
»Komm hierher, Latil«, sagte Haku in ihrem Helm. Sie bahnte sich mit Eytarri einen Weg zur Mitte des Platzes. Dort ragte eine Kopie der Stelen auf, die sie schon
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