Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Orden

Der Orden

Titel: Der Orden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
schlank und nicht groß, nicht größer als Lucia. Seine Haare waren rot, und er hatte ein schwächliches Kinn und ein Gesicht mit rundem Profil, eine weiche Kurve, die von seiner langen Nase zu seiner Stirn führte – die hoch war, wie sie sah, und mit Sommersprossen übersät. Er war jung, vielleicht noch keine achtzehn…
    Sie starrte ihn an. Natürlich erkannte sie ihn. Errötend senkte sie den Blick.
    »Tut mir Leid«, sagte er. »Ich wollte euch nicht erschrecken. Ich wollte nur…«
    »Wer bist du?«, raunzte Pina.
    »Mein Name ist Daniel Stannard. Ich bin Student. Ich besuche ein Ausländer-College in Trastevere. Dort will ich mein Bakkalaureat machen. Mein Vater ist Amerikaner…« Er hatte einen Akzent, eine leicht singende amerikanische Intonation in seinem Italienisch.
    Pina lächelte. »Was interessiert uns das, Daniel Stannard? Hast du die Gewohnheit, Mädchen im Park zu belästigen?«
    »Nein – nein. Es ist nur…« Er wandte sich an Lucia. »Hab ich dich nicht schon mal gesehen?«
    Pina lachte. »Fällt dir nichts Besseres ein?«
    »Sei still, Pina«, sagte Lucia.
    »Nein, wirklich«, fuhr Daniel fort. »Beim Pantheon – vor ungefähr einer Woche, glaube ich. Ich erinnere mich, dass ich dich gesehen habe – ich bin sicher, dass du es warst – unter den Säulen…«
    »Ich war dort«, bestätigte Lucia.
    Daniel zögerte. »Ich habe mich gefragt, ob ich dich wiedersehen würde.« Er wandte sich trotzig an Pina. »Ja, ich weiß, es klingt abgedroschen, aber es stimmt.«
    Pina bemühte sich, streng zu bleiben, aber sie musste lachen. Sie hielt sich die Hand vor den Mund, um es zu unterdrücken.
    Daniel setzte sich zögernd neben Lucia auf die Bank. »Also – ihr seid Schwestern, stimmt’s?«
    »Wir sind verwandt, ja«, sagte Pina.
    »Die Frau, mit der du letzte Woche dort warst – wer war das, deine Mutter?«
    »Eine Tante«, sagte Pina.
    »Gewissermaßen«, sagte Lucia und erntete dafür einen bösen Blick von Pina.
    »Und du sagst, du studierst?«, wandte sich Pina an Daniel.
    »Ja, Politik. Mein Vater ist Diplomat bei der amerikanischen Botschaft. Er ist seit sechs Jahren in Rom stationiert. Er hat die Familie rübergeholt, weil wir hier weiter zur Schule gehen sollten. Als ich herkam, war ich elf.«
    Also bist du jetzt siebzehn, dachte Lucia. »Dein Italienisch ist gut«, sagte sie.
    »Danke… Ich war auf einer internationalen Schule, aber der Unterricht ist meistens in Italienisch abgehalten worden. Was machst du?«
    »Sie geht noch zur Schule«, sagte Pina barsch. »Und danach steigt sie in den Familienbetrieb ein.«
    Er zuckte die Achseln. »Was ist das?«
    »Genealogie. Archivierung. Es ist kompliziert.«
    Kompliziert, ja, dachte Lucia. Kompliziert wie ein Netz, in dem ich mich verfangen habe. Und selbst das wenige, was du gerade über mich gehört hast, ist nicht wahr. Auf mich wartet nämlich ein neues Schicksal – nicht Genealogie oder Archivierung, sondern etwas Dunkles und Schweres.
    Sie sah Daniel an. Er hatte große, ein wenig wässrige blaue Augen und einen kleinen Mund mit nach oben gebogenen Mundwinkeln, der voller Gelächter zu sein schien. Er war schon in zwei verschiedenen Ländern zu Hause, dachte sie, während ich mein Leben in einer Höhle verbracht habe. So hatte sie es noch nie gesehen, aber es stimmte. Plötzlich sehnte sie sich danach, die Freiheit dieses Jungen zu besitzen.
    In einem Moment stummer Kommunikation spürte sie, wie ihre aufkeimenden Gefühle der Verwirrung und Frustration schubweise durch ihren Körper strömten und sicherlich auch in ihr Gesicht, ihre Augen vordrangen. Hilf mir, dachte sie. Hilf mir.
    Seine blauen Augen weiteten sich vor Überraschung und Bestürzung.
    »Wir müssen gehen«, sagte Pina hastig. Sie stand auf, packte Lucia am Arm und zog sie hoch. Bevor Lucia wusste, wie ihr geschah, wurde sie den kreisrunden Weg um den See herum zu einer der Straßen geschleppt, die den Park durchzogen.
    Unterwegs fing Pina an, hektisch Textbotschaften in ihr Handy zu tippen.
    Daniel griff sich verblüfft seine Bücher und rappelte sich hoch. »Deine Schwester ist ganz schön hitzig«, rief er, während er hinter Lucia herstolperte.
    »Sie ist nicht meine Schwester.«
    »Kann ich dich wiedersehen?«
    »Warum?«
    »Ich weiß nicht. Bloß um zu reden.«
    »Ich kann nicht.«
    »Piazza Navona«, sagte er. »Morgen um drei.« Pina war unterdessen immer schneller geworden; jetzt rannte sie beinahe, und Daniel hörte auf, sie zu verfolgen.
    Lucia schaute sich

Weitere Kostenlose Bücher