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Der Orden

Der Orden

Titel: Der Orden Kostenlos Bücher Online Lesen
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geben?«
    Lou schaute weg. »Du kapierst es nicht. Die Leute vom Orden sind keine Fremden. Sie gehören zur Familie.« Wieder diese schwere Hand auf meinem Arm. »Ich wusste, dass ich ihnen vertrauen konnte, und so ging es auch den Casellas in Rom und deinen Eltern.«
    Ich schwieg, aber er konnte in meinem Gesicht lesen.
    »Hör mal, mein Junge, die Sache bringt dich offenbar durcheinander. Wenn du zu mir gekommen bist, damit ich dir so eine Art Absolution erteile, dann wirst du die nicht kriegen.«
    »Wie bitte?«
    »Oder geht es um Vorwürfe? Dein Vater ist nicht mehr bei uns, also kommst du her, um mir aufs Dach zu steigen. Ist es so?«
    »Ich bin nicht hier, um dir Vorwürfe zu machen.«
    »Und das solltest du auch nicht. Ebenso wenig wie deinen Eltern, Gott hab sie selig.« Er stupste mich mit einem nikotinfleckigen Zeigefinger gegen die Brust und funkelte mich an. »Wir haben alle das Beste getan, was wir unter den gegebenen Umständen und nach unserem damaligen Ermessen tun konnten. Wenn man ein anständiger Mensch ist, dann tut man genau das. Wir sind alle bloß Menschen. Wir geben uns Mühe.«
    »Das bestreite ich ja gar nicht. Ich will bloß Bescheid wissen.«
    Er schüttelte den Kopf. »An deiner Stelle wäre ich wohl genauso. Aber ich warne dich, du könntest enttäuscht sein.«
    Ich sah ihn verwirrt an. Ich musste an die Direktorin denken. Was hatte der Orden nur an sich, dass tausende von Kilometern entfernte Menschen das Bedürfnis verspürten, ihn derart zu verteidigen?
    Ich schaute auf die untergehende Sonne. Jedenfalls wusste ich jetzt, dass dieser Orden meine Schwester aufgenommen hatte, so wie das kleine Mädchen im Jahr 1944 und zweifellos viele andere Mädchen im Lauf der Jahrzehnte… Oder Jahrhunderte?, fragte ich mich kalt. Nun musste ich in Erfahrung bringen, wozu er sie aufgenommen hatte. Lou irrte sich. Vertrauen reichte nicht. Auch nicht, dass der Orden zur Familie gehörte. Ich musste es wissen.
    Ich fragte ihn: »Schickst du dem Orden Geld?«
    »Natürlich.« Er musterte mich. »Ich nehme an, dein Vater hat es auch getan, aber damit ist jetzt wohl Schluss. Ich schätze, nun bist du an der Reihe. Brauchst du die Kontonummer?« Er suchte in seiner Brieftasche nach den Zahlen.

 
15
     
     
    In der stickigen, feuchten Mittagshitze drang Bricas sanfte, singende Stimme mühelos durch den Wald. »Die Sidhe wohnen in hohlen Hügeln«, erzählte Brica. »Sie sind unsichtbar. Ihr könnt sie sehen, wenn sie es wollen, aber selbst dann sind sie schwer zu erkennen, weil sie immer Grün tragen. Sie sind harmlos, wenn man freundlich zu ihnen ist, und darum werfen wir beim Pflügen Brotkrumen in die Furche und gießen zur Erntezeit Wein auf den Boden…«
    Regina wollte ihre Tochter nicht stören und näherte sich darum so leise, wie sie konnte – was ihr gar nicht so leicht fiel, schließlich war sie nun vierzig Jahre alt und bereits eine alte Frau, und überhaupt würde sie im Wald niemals so gut zurechtkommen wie die jüngeren Leute.
    »… aber ihr dürft nie Sidhe-Nahrung essen, denn sie werden euch in ihre hohlen Hügel führen, die Eingänge zur Anderswelt sind, und es könnte sein, dass ihr dort nie wieder herausfindet – und wenn doch, sind vielleicht hundert Jahre verstrichen, und all eure Angehörigen, selbst eure Brüder und Schwestern, könnten alt geworden und gestorben sein, während ihr nur um einen Tag gealtert seid. Doch wenn eine Sidhe euch Angst macht, könnt ihr sie immer mit dem Klang einer Glocke verscheuchen – aber sie muss aus Eisen sein, denn davor haben die Sidhe am meisten Angst…«
    Ihre Tochter saß mitten in einem Kreis von Kindern mit aufmerksam erhobenen Gesichtern. In der Nähe flackerte ein Feuer. Brica sah Regina und hob entschuldigend eine Hand. Sie war mit ihrer Mutter beim Gehöft verabredet gewesen.
    Regina begnügte sich damit, im kühlen Schatten zu warten, bis ihr Herzschlag sich nach dem Aufstieg vom Gehöft wieder beruhigt hätte. Die Sonne stand nun fast senkrecht über ihnen; ihr Licht wurde von dem hohen Blätterdach in grüne Kleckse zerstreut und erhellte den weißen Rauchkringel, der vom Feuer emporstieg. Regina drang der schwere Geruch brennender Eiche in die Nase, kräftiger als Buche oder Esche. Sie fragte sich manchmal, was Julia wohl gedacht hätte, wenn sie gewusst hätte, dass ihre Tochter eines Tages Expertin in Bezug auf die Gerüche brennenden Feuerholzes werden würde. Aber sie hatten sich alle anpassen müssen.
    Brica, mit einem

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