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Der Orksammler

Der Orksammler

Titel: Der Orksammler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Lossau , Jens Schumacher
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Hippolit zur Kenntnis, dass sie unter dem Mantel eine hautenge schwarze Lederkombination trug.
    Noch verblüffter war er, als Lith gedankenschnell ein Bein in die Höhe riss. Die Spitze ihres Stiefels traf Tamms Kinn, dessen Kiefer mit einem Krachen zuklappte. Sein Kopf flog nach hinten, er taumelte zurück.
    Jetzt artikulierte Lith drei knappe, konsonantenreiche Silben. Selbst in seinem angeschlagenen Zustand erkannte Hippolit die Formel eines Explosivglobulus dritter Stufe. Sofort erschien zwischen den erhobenen Handflächen des Mädchens eine faustgroße, orange lodernde Kugel.
    Tamm hatte seinen taumelnden Sturz am Mast einer Straßenlaterne abgefangen. Er spuckte blutig aus und drehte den Kopf, um sein Ziel für einen erneuten Angriff zu fixieren.
    Im selben Augenblick, da sein Bück auf Lith fiel, schoss der Clobulus vorwärts und detonierte exakt zwischen seinen Augen.
    Geblendet von der Explosion kniff Hippolit die Augen zusammen. Er hörte ein Zischen, gefolgt von einem feuchten Prasseln, als das, was einst Tamms Gesicht gewesen war, in weitem Umkreis auf das Pflaster herabregnete.
    Erleichtert schlug er die Augen wieder auf – gerade noch rechtzeitig, um den massiven Umriss zu sehen, der rückwärts, den Knüppel nach wie vor in der totensteifen Hand, auf ihn zu taumelte.
    Einen Wimpernschlag später begriff Tamms Gehirn, dass es nichts mehr gab, was sich in der Senkrechten zu halten lohnte. Der massige Leib des Schlägers brach über Hippolit zusammen, und alles um ihn herum wurde schwarz.

17
     
     
    »Und wie ist es nun genau zu diesen scheußlichen Verbrennungen gekommen?«, fragte Meister Kotkopp zum zehnten Mal.
    Jorge seufzte.
    Natürlich hieß Meister Kotkopp nicht wirklich Meister Kotkopp. Aber jeder im Klinikum des Heiligen St. Ruktem nannte ihn so. Es wurde offenbar nicht als Beleidigung verstanden, zumindest störte sich der Betroffene selbst nicht an der derben Titulierung. Jorge fand die Bezeichnung ein wenig respektlos. Er selbst hätte jedem, der ihn »Meister Kotkopp« nannte, die Fresse poliert, und zwar aufs Deftigste. Aber Meister Kotkopp sah das offenbar anders.
    Meister Kotkopp war klein und drahtig, ein Mann in den besten Jahren. Das schwarze Haar trug er kurz, in der Mitte gescheitelt. Wie alle thaumaturgischen Heiler, die Jorge bisher getroffen hatte, war er mit einem wallenden weißen Kittel bekleidet.
    Sein Sprechzimmer, in dem sie sich befanden, war ebenfalls in blendendem Weiß gehalten. An den gefliesten Wänden, hinter einem Schreibtisch voll uralter, zusammengerollter Pergamente, gab es lange Borde mit medizinischen Fachbüchern, blitzblanken Tiegeln, Reagenzgläsern und wissenschaftlichen Gerätschaften. Darunter hingen zu Bündeln geschnürte Kräuter. Die Luft roch nach Arzneien. Und nach Schmerzen, fand Jorge.
    »Hör mal, Heiler … du bist doch ein richtiger Heiler, oder?«
    Meister Kotkopp wuchs hinter seinem Schreibtisch einige Fingerbreit in die Höhe. »Medizinisch-thaumaturgischer Heiler der vierten Stufe!«
    »Schon in Ordnung.« Jorge winkte ab. »Wie konnte es dich dann an einen so trostlosen Ort wie Torrlem verschlagen, bei Batardos?«
    War Meister Kotkopp eben noch gewachsen, so schien er nun wieder in sich zusammenzusacken. Er seufzte. »Ach, das wollen Sie gar nicht hören, Agent Jorge!«
    Jorge nickte. So erschlagen, wie er war, wollte er es vielleicht wirklich nicht hören.
    Nachdem sich der dämliche Agdeman draußen auf den Aschehalden selbst in Brand gesteckt hatte, hatte Jorge ihn kurzerhand auf seine Schulter geladen (ein nicht eben einfaches Unterfangen, denn Agdeman war unförmig und schwer, und er roch nach angebranntem Krügerschwein) und sich auf den Weg zurück zum Feuchten Dreier gemacht, wo er den Idioten aufgegabelt hatte. Dabei hatte er sich allerdings verlaufen und war stundenlang in den aschegepuderten Straßen umhergeirrt. Schließlich hatte er einen Passanten befragt, ob es in der Nähe so etwas wie ein Klinikum gäbe. Der Mann hatte ihm den Weg gewiesen, und nach zahllosen weiteren Straßenbiegungen und Abzweigungen war er am Ziel: Vor ihm erhob sich ein weiß leuchtender Diamant inmitten des ewigen Graus, so sauber, als hätten Kolonnen von Arbeitern die Fassade extra für Jorge blank gewienert. Das Gebäude war u-förmig angelegt, hinter den endlosen, bläulich schimmernden Fensterreihen mussten sich unzählige Zimmer verbergen. Jorge fragte sich, wozu man in Torrlem ein so riesiges Klinikum benötigte. Als er darüber nachdachte,

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