Der Orksammler
wurde ihm klar, dass in der Grabstadt möglicherweise weitaus mehr Leute lebten, als er bisher zu Gesicht bekommen hatte. Torrlem war wie eine riesige Fabrik – eine Fabrik, die tagaus, tagein dasselbe Produkt herstellte: Asche.
Am Haupteingang gab es eine Art Rezeptionstresen. Eine weiß gekleidete Frau mittleren Alters mit einem brünetten Dutt saß dort und schrieb etwas in eine Akte. Sie blickte erst auf, als Jorge direkt vor ihr stand.
»Bei Ubalthes!«, stieß sie hervor, als ihr Bück auf seine verkohlte Fracht fiel.
Jorge ließ Agdeman zu Boden sinken. Er hatte keine Ahnung, ob der Beseitiger noch am Leben war oder bereits seine Ahnen im Beseitigerhimmel belästigte.
»Du sagst es, schönes Kind«, ächzte Jorge. Er war kein schwächlicher Typ, aber der Transport des Fettsacks hatte ihn annähernd so sehr mitgenommen wie eine Nacht Geschlechtsverkehr mit vier ausgehungerten Trollinnen.
Die Frau kam um den Tisch herum, beugte sich hinunter und ergriff Agdemans verschmorte Hand. »Was ist mit ihm passiert?«
»Blaak!« Jorge holte tief Luft. Aus seiner Brusttasche erklang ein helles Quieken. »Schon gut«, murmelte er in Richtung der Tasche, dann wandte er sich wieder an die Frau. »Blaak!«, wiederholte er. »Der Kerl ist völlig übergeschnappt, wenn du mich fragst. Ich habe ihm die Überreste seiner Mördermaschine vom Rücken geschnallt und sie liegen lassen. Findest du nicht, dass das sehr vernünftig war? Hat sich selbst in Brand gesteckt, der Narr. Lebt er überhaupt noch?«
Die Frau nickte. »Meister Kotkopp wird sofort nach ihm sehen.«
Im ersten Moment dachte Jorge, er hätte sich verhört. Er legte fragend den Kopf schief. Er sagte: »Wie?« Er sagte: »Was?«
Dann begann er schallend zu lachen.
Die Schwester sah auf. Ihre Gesichtszüge schienen sich nicht zwischen Empörung und Entsetzen entscheiden zu können.
»Entschuldigen Sie, Herr Troll, aber halten Sie Ihre merkwürdige Form von Humor für angebracht? Dieser Mann liegt im Sterben!«
Jorge schüttelte den Kopf und wischte sich die Tränen aus den Augen. »Entschuldige bitte, Kleines! Ich hatte eben nur eine Sekunde lang den Eindruck, du hättest gesagt, ein gewisser Meister Kotkopp werde sich gleich um den Patienten kümmern.«
»Ja, und?«
»Meister Kotkopp, oder wie oder was?«
»Ich weiß wirklich nicht, worauf Sie hinauswollen.«
»Euer Oberheiler hier im Klinikum … er heißt doch nicht wirklich Meister Kotkopp?«
Ehe das Mädchen Jorge antworten konnte, war plötzlich ein Mann mit schwarzem Haar und wehendem Kittel um die Ecke geeilt. »Ich bin Meister Kotkopp. Was gibt es für ein Problem?«
All das lag mittlerweile gut eine halbe Stunde zurück, und Jorge saß in einem bequemen Stuhl im Sprechzimmer des Klinikleiters. Er war noch immer erschöpft, so dass ihm die Erinnerung an seine Ankunft im Gebäude nur noch ein mattes Schmunzeln entlockte.
»Wie ist es nun genau zu diesen scheußlichen Verbrennungen gekommen?«, fragte Meister Kotkopp abermals.
»Das hab ich dir doch schon ein Dutzend Mal erklärt, oder? Der Bursche ist Kammerjäger. Hat mit seinem Zerstörer, oder wie das Drecksding heißt, Jagd auf Vulvatten gemacht.«
Meister Kotkopp nickte. »Die Biester sind hier in letzter Zeit zu einer richtigen Plage geworden. Sie hausen in den Aschehalden, vermehren sich unkontrolliert. Wenn es so weitergeht, haben wir in Torrlem bald mehr Vulvatten als Tote!« Er trat an ein Fenster und blickte durch das blitzsaubere Clas auf das einheitliche Grau Torrlems. Jorge fragte sich, wo genau er hinsah.
»Die Verbrennungen, die der Mann erlitten hat, sehen übel aus. Darüber hinaus habe ich festgestellt, dass ihm eine nicht unbeträchtliche Quantität Asche in die Lunge geraten ist. Haben Sie dafür vielleicht eine Erklärung?«
Jorge seufzte. Unter seiner Lederkluft fiepte es. Unauffällig streichelte er die Ausbeulung an seiner Brust.
»Das tut mir wirklich leid«, sagte er. »Aber ich musste irgendwie das verfluchte Feuer löschen. Da hab ich den ollen Agdeman eben in einen Aschehügel geschubst. Musste sein, ich hätte mir sonst die Griffel verbrannt. Es gibt bei uns Trollen ein hübsches Sprichwort, und das geht so: Wird er überleben, Meister Kotkopp?«
Der Heiler drehte sich um. Auf seinen verbraucht wirkenden Zügen breitete sich ein kaum merkliches Lächeln aus. »Kojomias«, sagte er.
»Wie meinen?«
»Mein Name. Ich bin Meister Kojomias.«
»Ich dachte, du bist Meister Kot –«
»Ein Spitzname. Ich mag
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