Der Orksammler
passiert ja nie etwas, worüber sich zu reden lohnen würde. Also denken sie sich etwas aus.«
»Hat vielleicht mal jemand die eine oder andere Geschichte erzählt von einem … wie soll ich mich ausdrücken?«
Kojomias zog die Augenbrauen hoch. »Was meinen Sie?«
Jorge suchte nach Worten, fand sie nicht und beschloss, den direkten Weg zu wählen. »Unter uns: Glaubst du, es gibt in Torrlem vielleicht so eine Art Monstrum? Ich rede nicht von Vulvatten und dergleichen. Die sind niedlich und überhaupt nicht monstermäßig.«
»Das meinen Sie doch nicht im Ernst, oder?«
»Ich meine immer alles ernst.«
Meister Kojomias, medizinisch-thaumaturgischer Heiler der vierten Stufe, von seinen Kollegen Kotkopp genannt, schüttelte lachend den Kopf. »Nein, wirklich nicht. Ihr Ring verrät mir, dass Sie vom IAIT sind. Und gewiss hatten Sie einen guten Grund, warum Sie mit einem närrischen Beseitiger in den Aschehalden unterwegs waren. Aber ein Monstrum – ich bitte Sie! In was für Zeiten leben wir denn? Früher … ja, früher, da ging es hier zuweilen hoch her. Gräberplündernde Thaumaturgen, die Leichname für absurde Experimente stahlen. Aasfressende Tiere, die in die Leichensilos eindrangen und sich an den konservierten Körpern gütlich taten, dann noch die Ghoule … Aber all das ist wie gesagt lange her.«
In Jorges Brusttasche fiepte es.
»Hast du eben ›Ghoule‹ gesagt?« Jorges Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.
Kojomias nickte.
»Ghoule«, wiederholte Jorge nachdenklich. »Weißt du, es gibt bei uns Trollen ein altes Sprichwort, und es geht so: Ghoule? Das hört sich echt interessant an!«
18
Er war nackt, zumindest teilweise. Das war das Erste, was Hippolit auffiel, als er wieder zu sich kam. Entkleidet bis auf die Leibwäsche lag er auf einer weichen Unterlage, möglicherweise einer Matratze, bedeckt nur von einem Laken aus dünnem Stoff.
Seine zweite bewusste Feststellung betraf seinen Kopf. In den letzten Momenten, an die er sich erinnern konnte, hatte sich sein Schädel angefühlt wie ein Ochsenfrosch, den ungezogene Halbwüchsige mit einem Blasrohr voll Luft pumpten, bis er platzte. Das war jetzt anders: Er hatte überhaupt keine Schmerzen mehr.
Die dritte Empfindung war die einer kühlen, weichen Hand, die sachte, beinahe zärtlich, über seine linke Schulter strich.
Hastig öffnete er die Augen.
Er lag auf einem schmalen Bett unter einer holzverkleideten Dachschräge. Als er den Kopf ein wenig drehte, erkannte er um sich herum eine mittelgroße, bescheiden eingerichtete Kammer; einen Tisch mit zwei Stühlen; ein kleines Regal, vollgestopft mit antik anmutenden Büchern; ein Wasch- und Frisiermöbel mit großem Spiegel. Über ein Dutzend Kerzen stand im Zimmer verteilt. Durch ein Dachfenster am höchsten Punkt der Decke war der Himmel zu sehen, den die Dämmerung bereits dunkel-grau tönte.
Er drehte den Kopf weiter. Als ihm klarwurde, wer unmittelbar neben ihm auf der Bettstatt saß, riss er seine Augen noch weiter auf.
»Bei Ubalthes, endlich kommen Sie zu sich!« Liths Stimme klang erleichtert und zugleich ein wenig stolz. »Ich versuche schon seit Stunden, Sie wachzukriegen.« Sie lächelte, ohne Anstalten zu machen, ihre Hand von seiner Schulter fortzunehmen.
»Wo …« Hippolit musste sich räuspern, bevor er weitersprechen konnte. »Wo sind wir?«
»In meiner Unterkunft«, erklärte Lith im Tonfall eines kleinen Mädchens, das einen Spielkameraden in ein intimes Geheimnis einweiht. »Kein Palast, zugegeben, aber für eine einfache Sekretärin reicht es.« Mit der freien Hand griff sie nach einem Glas Wasser, das neben einer gerahmten Fothaum-Aufnahme auf dem Nachttisch stand. Das Bild zeigte einen jungen Mann mit schulterlangem blondem Haar, vermutlich ein Bruder Liths. Sie reichte Hippolit das Glas.
Während er trank, schielte er unauffällig zu ihren Fingern, die wie selbstverständlich auf seiner blassen Schulter lagen.
»War es wirklich unumgänglich, mich zu entkleiden?« Noch während er die Worte aussprach, wurde ihm bewusst, dass Lith ihn bei dieser Gelegenheit nahezu nackt gesehen haben musste. Er spürte, wie ihm eine heiße Röte ins Gesicht stieg.
Das Mädchen blies pikiert die Backen auf, eine Mimik, die sie sich bei älteren Frauen abgeschaut zu haben schien. »Aber selbstverständlich! Ihre Sachen waren voller Straßenschmutz. Außerdem musste ich mir Ihre Blessuren ansehen.«
Sie tippte mit dem Finger auf einen Stoffverband, der in mehreren
Weitere Kostenlose Bücher