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Der Orksammler

Der Orksammler

Titel: Der Orksammler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Lossau , Jens Schumacher
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Lagen um seine Stirn gewickelt war. Dann begann sie, wie um ihre Worte zu unterstreichen, behutsam seine Schulter zu massieren. Als Hippolit den Blick erneut senkte, stellte er fest, dass seine Haut dort einen handtellergroßen dunkelvioletten Bluterguss aufwies; weiterhin zeugten Abschürfungen an Ellenbogen und Unterarmen von seinem unfreiwilligen Sturz auf die Straße. Er schien bei seinem zweiten Zusammentreffen mit Bearth mehr abbekommen zu haben, als er zunächst angenommen hatte.
    Umständlich setzte er sich im Bett auf, wobei er die Decke penibel hochzog. Lith mochte seinen spargeldünnen, farblosen Körper bereits gesehen haben, den erneuten Anblick seiner unansehnlichen Trichterbrust wollte er ihr dennoch ersparen.
    »Was ist passiert?«, wollte er wissen – eine gleichermaßen klischeehafte und vor allen Dingen unpräzise Frage. Er räusperte sich wieder. »Ich meine, in der Gasse. Was haben Sie mit den Männern angestellt?«
    Lith sah ihn unschuldig an. »Ich habe diesen Widerlingen gegeben, was sie verdienten. Und man kann nicht behaupten, ich hätte sie vorher nicht gewarnt!«
    Sie intensivierte die knetenden Bewegungen an seiner Schulter. Hippolit, der körperliche Nähe seit Dekaden nicht mehr gewohnt war, stellte irritiert fest, dass er die Massage als ausgesprochen angenehm empfand.
    »Sie haben Bearths Stock in seinen Händen levitiert und ihm den Knüppel mithilfe eines Beschleunigers ins Gesicht geschleudert. So viel ist mir klar.«
    Liths Gesicht war ausdruckslos. »Wenn Sie es sagen, habe ich das wohl getan.«
    »Auch der Explosivglobulus, mit dem sie den dritten Kerl ausgeschaltet haben, gibt mir keine Rätsel auf.« Er fixierte sie mit dem durchdringendsten Blick, den er in seiner gegenwärtigen Lage zustande brachte. »Aber was haben Sie mit dem Burschen mit dem Schnauzbart gemacht? Dem, der plötzlich brüllend zu Boden gegangen ist?«
    Lith zuckte die Achseln. »Das kann ich Ihnen nicht sagen. Ebenso wenig, wie ich sagen könnte, was genau ich Ihnen angedeihen ließ, um Ihnen den Schmerz zu nehmen und Sie wieder zu Bewusstsein zu bringen.« Sie schüttelte desinteressiert den Kopf. Strähnen blonden Haars rutschten über ihre Schultern und flossen wie goldene Kaskaden über ihr Dekolleté. »Ich tue es einfach, verstehen Sie? Und die Dinge … sie passieren.«
    Hippolit verstand kein Wort. »Sie meinen, Sie haben einen Entquäler über meiner Kopfwunde gewirkt und mich mit einem Besinnungsspruch zurückgeholt, ohne zu wissen, was Sie da eigentlich machen?« Ihn schauderte bei der Vorstellung, was bei der unsachgemäßen Anwendung von Thaumaturgie alles schiefgehen konnte – sein eigenes Erscheinungsbild legte seit zwei Jahren hinreichend Zeugnis davon ab. »Sie sind demnach versiert, haben aber niemals eine thaumaturgische Ausbildung genossen? Wie ist das möglich?«
    Sie legte den Kopf schief und sah ihn mit riesigen Augen an, in denen sich ein Dutzend Kerzenflammen spiegelten. »Ich stamme aus einfachen Verhältnissen. Meine Eltern waren Schafzüchter in einem Dorf südlich von Thamis. Sie verdienten gerade genug Geld, um mich und meinen Bruder zu ernähren. Die vier Kupferkaunaps je Zenit, die der Dorfthaumaturg für seine Grundausbildung verlangte, konnten sie nicht aufbringen. Und da es auf dem Land keine kostenfreie Basisschulung gibt wie in den Städten …«
    »Wie lange wissen Sie schon um Ihre Versiertheit?«
    »Irgendwann um meinen zehnten Geburtstag hob ich erstmals etwas mit der Kraft meines Willens in die Luft. Meine Eltern baten mich damals, meine Gabe nach Möglichkeit nie mehr anzuwenden. Sie sagten, es sei gefährlich ohne die entsprechenden Unterweisungen.« Ein schelmisches Lächeln huschte über ihre Lippen. »Natürlich habe ich nicht darauf gehört! In den nächsten Jahren verbrachte ich jede freie Minute im Wald – allein, um zu üben und mich zu erproben. Das ist doch normal, finden Sie nicht? Ich war schließlich ein Kind!«
    Hippolit nickte langsam. Das Mädchen war ein Frühchen; üblicherweise wurden Heranwachsende erst während der Pubertät auf die Energien aufmerksam, die in ihnen schlummerten -vorausgesetzt, sie gehörten zum versierten Teil der Bevölkerung, der unter Menschen knapp zehn Prozent ausmachte. Wie unzählige Jugendliche aus mittellosen Familien hatte Lith nie eine Anleitung zur kontrollierten Nutzung ihrer Kräfte erhalten. Umso erstaunlicher war es, dass sie noch am Leben war. Von den komplexen thaumaturgischen Praktiken, die sie vorhin in

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