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Der Orksammler

Der Orksammler

Titel: Der Orksammler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Lossau , Jens Schumacher
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der Gasse angewendet hatte – erfolgreich angewendet hatte –, gar nicht zu reden!
    Soweit Hippolit wusste, gab es in den Reihen praktizierender Thaumaturgen quasi keine Autodidakten. Zu groß war die Wahrscheinlichkeit, dass man bereits in jungen Jahren beim Experimentieren durch einen spontanen Ausbruch thaumaturgischer Energie umkam oder zumindest so fürs Leben gezeichnet wurde, dass man sich später nie wieder mit der Materie auseinandersetzte. In gut drei Vierteln aller thaumaturgisch bedingten Todesfälle, die Hippolit während seiner siebzig Dienstjahre untersucht hatte, handelte es sich nicht um kriminelle oder vorsätzliche Akte, sondern um tragische Unfälle, die auf unkontrollierte Entladungen thaumaturgischer Energie zurückgingen.
    »Sie experimentieren also seit Ihrem zehnten Lebensjahr mit …« Hippolit musste sich erneut räuspern, denn Lith ging jetzt dazu über, ihm mit beiden Händen die Sehnen beiderseits des Nackens zu massieren. Dort befanden sich zwar keine sichtbaren Verletzungen, aber er musste zugeben, dass sein Bewegungsapparat als Folge der Schlägerei sicher gehörig verspannt war. »… mit der Thaumaturgie?«, beendete er seinen Satz.
    Lith nickte. »Als ich älter wurde, besorgte mein Bruder mir Bücher. Er stahl sie aus der Dorfbücherei, später entlieh er welche aus der Bibliothek von Thamis. Aber aus ihnen lernte ich nur die Alte Sprache, in der die Befehle in Worte gefasst werden. Darüber hinaus verrieten mir die Schmöker nichts, was ich nicht schon selbst herausgefunden hatte.«
    »Höchst erstaunlich, wirklich«, murmelte Hippolit. »Sie scheinen ein echtes Naturtalent zu sein. Ich frage mich, wie ausgeprägt ihre Fähigkeiten wohl sind?«
    »Als ich vor sechs Jahren nach Torrlem kam, um hier eine Stellung anzutreten, stellte man mir in meinem Bewerbungsgespräch die Frage, ob ich versiert sei. Ich bejahte, aber da ich keinerlei Dokumente über den Grad meiner Ausbildung vorweisen konnte, musste ich mich einem Evaluationstest bei Meister Kojomias unterziehen, dem obersten medizinisch-thaumaturgischen Heiler unserer Stadt.«
    »Und was ist dabei herausgekommen?«
    »Meister Kojomias befand, die Leistungsfähigkeit der Sprüche, die ich unter seiner Anleitung wirkte, entspreche ungefähr der eines ausgebildeten Thaumaturgen der sechsten oder siebten Stufe. Er bot mir an, auf Kosten der Stadtkasse eine Weiterbildung für mich zu beantragen, um mich in der korrekten Anwendung weiterer, komplizierterer Rituale schulen zu lassen.« Sie grinste. »Aber ich hatte keine Lust. Schließlich beherrsche ich längst, was ich beherrschen will. Außerdem bin ich Sekretärin, keine Thaumaturgin, verstehen Sie? Ist das angenehm so?«
    »Wie? Oh ja, oh ja, quintessenziell!« Ohne sein bewusstes Zutun war Hippolit unter den knetenden Händen des Mädchens wieder in eine halb liegende Position zurückgesunken. Lith widmete sich mittlerweile seinem kompletten Oberkörper, wo es fraglos etliche geprellte und verspannte Partien gab. Dass sie sich am Anblick seiner schmächtigen Brust stören konnte, interessierte ihn längst nicht mehr.
    »Der sechsten oder siebten Stufe …« Hippolit sah sie prüfend an. »Aber was war nun mit dem Schnauzbärtigen? Auch wenn Ihnen nicht bekannt ist, wie die Technik heißt, die Sie angewendet haben, müssen Sie doch wissen, was …«
    Lith seufzte. »Ich nenne es den Schädelknacker. In der stärksten Variante, wie ich sie bei diesem ekelhaften Kerl angewendet habe, verursacht er augenblicklich furchtbare Kopfschmerzen. Kurze Zeit später quellen die Augen nach draußen, ein wässriges Sekret folgt. Und dann ist die Person tot.«
    »Ach?« Hippolit ging im Kopf die Liste der infrage kommenden thaumaturgischen Praktiken durch. Der einzige Spruch, der Liths Beschreibung nahe kam, war der Drücker, eine nicht ganz einfache, illegale Praktik, die beim Opfer eine massive Überproduktion von Hirnwasser auslöste. Daraus resultierten zunächst Kopfschmerzen, die zum Tod fuhren konnten, sofern der Prozess nicht rechtzeitig angehalten wurde. Selten hatte man bei besonders hochstufigen Drückern davon gehört, dass durch den massiv ansteigenden Innendruck die Augäpfel aus dem Schädel gepresst wurden. Bis es dazu kam, vergingen jedoch im Normalfall viele Tage, und selbst dann musste sich der Verlust der Augen noch nicht zwingend letal auswirken – was die Sache für den Betroffenen kaum angenehmer machte.
    »Sie sind eine bemerkenswerte Frau, Lith«, sagte

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