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Der Orksammler

Der Orksammler

Titel: Der Orksammler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Lossau , Jens Schumacher
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Verdauungsbeschwerden immer wieder um seinen Tisch herumtrippelte, und schlug in den Anordnungen des damaligen Verwalters nach, einem Vorgänger Meister Wylfgungs, der auf den Namen Amielus gehört hatte. Interessanterweise war jener Amielus dem spurlosen Verschwinden von mehreren Dutzend Leichnamen offenbar nicht weiter nachgegangen. Hippolit kehrte zurück zu den Berichten der Stasis-Verhänger und wurde prompt ein weiteres Mal fündig: Im Jahre 2221 hatte ein gewisser Meister Holman das unerklärliche Fehlen von über sechzig Leichen dokumentiert. Nur ein Jahr später war einem Meister namens Birt eine Differenz von knapp hundert Toten aufgefallen. Jedes Mal überprüfte Hippolit die zeitgleichen Eintragungen ins Auftragsbuch der zuständigen Verwalter – und kam ein ums andere Mal zum selben Ergebnis: Nie waren Maßnahmen zur Klärung des rätselhaften Schwundes ergriffen worden. Allein im Jahre 2297 stieß er auf eine knappe Notiz von Meister Amielus’ Nachfolger, Meister Lemkin, gerichtet an seinen Vizekoordinator. Darin äußerte Lemkin Bedenken, die »Ungezieferplage« in den tieferen Silogeschossen drohe möglicherweise intolerable Ausmaße anzunehmen; ein Treffen mit Mitarbeitern des thaumaturgischen Stabes sowie Vertretern der Beseitiger-Innung möge zeitnah anberaumt werden. Ob und wann dieses Treffen tatsächlich stattgefunden hatte, darüber ließ sich jedoch nichts weiter herausfinden.
    »Jetzt reicht es, Meister Hippolit! Sonderbefugnis hin oder her, ich schließe jetzt.« Eftar schien sich nach langem Hadern zum Handeln durchgerungen zu haben.
    »Sagen Sie, bester Eftar«, hob Hippolit die Stimme und blätterte einen weiteren Papierstapel durch. »Wissen Sie zufällig etwas über eine Ungezieferplage in Torrlem, so um das Jahr 2297 herum?«
    »Nein! Und wenn ich etwas wüsste, würde ich es Ihnen nicht mitteilen.« Der kleine Mann war jetzt sichtlich wütend. »Haben Sie eigentlich verstanden, was ich gerade gesagt habe? Ich! Schließe! Jetzt! Und ich fordere Sie auf, mir nach draußen zu folgen – es sei denn, Sie legen Wert darauf, hier allein im Finstern eingeschlossen zu werden.«
    Darauflegte Hippolit verständlicherweise keinen Wert. Noch weniger allerdings darauf, mit Eftar seine einzige Möglichkeit eines zielsicheren Zugriffs auf weitere Dokumente aus dem Magazin zu verlieren.
    Ganz langsam hob er den Kopf. Eftar war mit einer schmutzfarbenen Toga bekleidet, offenbar die Arbeitskleidung der städtischen Archivare. Die Stoffbahnen waren in Unordnung, auf der Vorderseite mit Staub und Papiermehl bestäubt. Der kleine Mann atmete heftig, seine Hände zitterten. In seinem engen Gesicht hatten sich hektische rote Flecken gebildet.
    Bluthochdruck, dachte Hippolit instinktiv. Also kein Zwinger. Schade …
    Der Zwinger war eine ausgesprochen praktische thaumaturgische Technik, um sich andere Menschen gefügig zu machen. Seine Intensität war frei wählbar, der Effekt reichte von der Erfüllung eines kleinen Handlangerdienstes bis zum »freiwilligen« Sprung von einer Klippe. Unglücklicherweise wirkte der Zwinger rein körperlich, weshalb er sich auch nicht zum Einsatz bei Verhören eignete; das Bewusstsein des Zielobjekts blieb stets unbeeinflusst und kämpfte innerlich gegen die Fremdbeeinflussung an, was bei entsprechender Veranlagung – zum Beispiel Bluthochdruck – zu einem Kreislaufkollaps oder sogar Herzversagen fuhren konnte. Ein solches Risiko war die Sache nicht wert, befand Hippolit und entschied sich stattdessen für den Inneren Frieden.
    Bevor Eftar sich klar darüber werden konnte, dass sein Besucher im Begriff war, Thaumaturgie zu wirken, umfasste Hippolit den kleinen grünen Hexalyt, den er stets in einer Tasche seines Gewandes bei sich trug und der die Eigenschaft besaß, bestimmte Rituale energetisch zu unterstützen, und sprach eine uralte Befehlszeile.
    Nur Augenblicke später begann sich Eftars Haltung merklich zu entspannen. Die Flecken in seinem Gesicht verschwanden, seine Miene hellte sich auf, bis ein naives Grinsen alle anderen Gemütsregungen überdeckte.
    »Wie fühlen Sie sich, Eftar?«, fragte Hippolit, der die Antwort bereits kannte.
    »Gut«, hauchte der Archivar und starrte mit verklärtem Blick zur Decke. »Alles ist gut. Ich bin komplett.«
    Hippolit nickte wohlwollend. Der Innere Friede war ein Spruch, der häufig zu therapeutischen Zwecken angewandt wurde, beispielsweise zum Kurieren von Depressionen. Er war in der Lage, extreme subjektive Zufriedenheit beim

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