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Der Orksammler

Der Orksammler

Titel: Der Orksammler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Lossau , Jens Schumacher
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trotz der späten Stunde noch einen Schwung historischer Aufzeichnungen im Magazin zusammenzusuchen und hinüber in den Lesesaal zu bringen.
    Die Dokumente stammten aus der Abteilung für Historisches Bauwesen, und fast alle hatten Planung und Errichtung der Kanalisation zum Inhalt. Ganz wie Meister Wylfgung berichtet hatte, war einst parallel zur Konzeption der Grabstadt ein umfangreiches System von Abwasser- und Abluftschächten entworfen worden; nur logisch, wenn man den prädestinierten Zweck Torrlems bedachte, dennoch erstaunlich hellsichtig für einen riesigen bürokratischen Apparat wie jenen, der hinter dem Entwurf einer landesweiten Entsorgungsstelle für die Verstorbenen stand.
    Nach einer Chronik über den Verlauf des über sechs Jahrzehnte währenden Bauvorhabens sowie einem Abriss über Leben und Werk des Architekten, Meister Derckh aus Sherlepp, der Stadt der Mathematik, stieß Hippolit auf einen großformatigen Plan, der die wichtigsten Stollen und ihre Verbindungen zum oberirdischen Straßennetz dokumentierte. Er erbat sich von dem unruhig herumwieselnden Eftar Schreibzeug und fertigte eine rasche, nichtsdestoweniger exakte Kopie davon an.
    Der kleine Archivar wollte daraufhin erleichtert die Lichter löschen, doch Hippolit war noch längst nicht fertig. Seine eigene Müdigkeit nach dem langen und schmerzerfüllten Tag ignorierend, scheuchte er Eftar ein weiteres Mal ins Magazin. Die Aufzeichnungen, die er sich diesmal bringen ließ, betrafen jenen Teil der unterirdischen Anlagen, den Meister Wylfgung »Katakomben« genannt hatte – die Silos, welche in den frühen Tagen der Grabstadt zur Lagerung der Leichen gedient hatten.
    »Ich habe meine Befugnisse jetzt zweimal an einem Abend überschritten!« Eftars Quengelei Ließ Hippolit zum wiederholten Mal von seiner Lektüre hochschrecken.
    »Nach Ende der Öffnungszeiten hat hier niemand mehr etwas verloren, auch kein städtischer Angestellter, wie Sie angeblich einer sind.« Seinem skeptischen Bück war deutlich zu entnehmen, dass Eftar die Echtheit von Hippolits Beamtenbescheinigung anzweifelte – nicht zuletzt wegen dessen auffallend jugendlichen Erscheinungsbildes. »Es widerspricht den Statuten, dass um diese Zeit noch etwas aus dem Magazin geholt wird. Sie müssen morgen wiederkommen, am besten in Begleitung eines Beamten der Stadtverwaltung!«
    »Ja, ja. Quintessenziell.« Hippolit nickte abwesend und vertiefte sich von Neuem in die Unterlagen.
    Leider gab es keine separate Chronik über die Silogeschosse, daher musste er deren Geschichte aus Bereitstellungsanträgen früherer Verwalter sowie thaumaturgischen Statusberichten jener Beamten rekonstruieren, die seinerzeit für die umfangreichen Stasis-Praktiken zur Konservierung der Leichen zuständig gewesen waren. Erst nach einer guten Stunde stellte sich ihm die Historie der Katakomben ansatzweise lückenlos dar: Im Anschluss an jede Revision, die die Ewige Flamme seit ihrem Bestehen durchlaufen hatte, war die Zahl der genutzten Tiefgeschosse reduziert worden; waren es zu Beginn acht gewesen, wurden nach der ersten Verbesserung der Brennkammer nur noch sechs benötigt, fünf nach der zweiten und drei nach der dritten. Als es anno 2314 des Dritten Zyklus schließlich zur größten und letzten Revision kam, die eine Aufstockung des erforderlichen Thaumaturgenstabes um fast vierzig Mann und eine Effizienzsteigerung von über zweihundert Prozent mit sich brachte, wurden die Katakomben von einem auf den anderen Tag überflüssig. Wie Meister Wylfgung gesagt hatte, nutzte man sie von diesem Zeitpunkt an nur noch sporadisch, wenn die Zahl der angelieferten Leichname als Folge politischer oder gesundheitlicher Krisen überproportional anstieg.
    »Das muss jetzt aber wirklich genügen«, forderte Eftar und gestikulierte heftig in Richtung Tür. »Die elfte Abendstunde bricht bald an. Bei Lorgon, wenn jemand mitbekommt, dass wir immer noch hier …«
    »Schschsch!«, machte Hippolit, ohne aufzusehen. Er war durch Zufall auf einen interessanten Vermerk gestoßen, der aus der Zeit kurz vor der finalen Revision datierte. Ein mit Konservierungsritualen beauftragter Thaumaturg vierter Stufe namens Kenken wies im Jahre 2217 auf eine Unstimmigkeit hinsichtlich der Anzahl der von ihm mit Stasis zu belegenden Leichname in der dritten Silo-Etage hin, auf eine Differenz zwischen der in den Unterlagen der Anlieferer genannten Quantität und dem realen Bestand.
    Hippolit ignorierte Eftar, der wie ein Huhn mit

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