Der Orksammler
Kratzer auf der weißen Haut über seinem Brustbein zugefügt hatte.
»Dieses verfluchte Biest!« Keuchend presste Hippolit eine Hand auf die Rötung. »Du bringst es augenblicklich dorthin zurück, wo du es aufgelesen hast, hörst du? Wenn ich dich das nächste Mal sehe, bist du wieder allein, oder du warst die längste Zeit mein Assistent!«
»Immer mit der Ruhe, M.H.!« Betont beiläufig ließ Jorge sein Haustier unter der ledernen Jacke verschwinden. »Pompom hat es nicht böse gemeint. Sie hatte eine harte Jugend … Asche links, Asche rechts, Asche oben und unten, das schlägt irgendwann aufs Gemüt. Ich verspreche dir, wenn du ihr ein paar Tage Zeit gibst …«
»Einen Dreck werd ich!« Hippolit griff in eine Innentasche seines Gewandes und schleuderte Jorge ein kleines Stück Pergament entgegen. »Du wirst dieses … dieses Ding los, und zwar umgehend! Danach begibst du dich zu dieser Adresse. Meister Wylfgung hat uns dort eine Unterkunft vorbereiten lassen. Warte dort auf mich, bis ich mit meinen Recherchen fertig bin.«
Jorge hob beschwichtigend eine Hand. »Ich denke, du dramatisierst das alles ein bisschen. Sieh mal, Pompom ist …«
»Pompom ist eine Bestie! Und jetzt geh mir aus den Augen, ich habe einen Mörder zu fassen.« Damit stapfte Hippolit auf den Eingang des Stadtarchivs zu, riss die schwere Pforte auf und verschwand im Innern.
Jorge blieb eine ganze Weile schweigend vor dem Gebäude stehen. Unter seiner Jacke zappelte es, als sich die Vulvatte in eine bequeme Position manövrierte.
»Mach dir nichts draus«, murmelte er schließlich. »M.H. ist ein Guter. Er hat nur manchmal seine anstrengende Phase, und dann … Hallo, was ist denn das?« Er bückte sich und hob etwas auf, das sich durch ein verräterisches Glitzern im Zwielicht verraten hatte.
Es handelte sich um eine silberne Kette, deren feine Glieder an einer Stelle gerissen waren und an der ein Anhänger mit einem mattgrauen Stein befestigt war.
»Schau an«, murmelte Jorge und ließ den Fund bedächtig vor seinem Gesicht hin- und herpendeln. »Ein Phantotas-Amulett. Und es sieht zufälligerweise genauso aus wie das von M.H.« Er tätschelte seine Brust, von wo ein zufriedenes Quieken ertönte. »Hut ab, du hast scharfe Krallen, Kleines. Zum Glück besagt ein altes Trollsprichwort: Zum Recherchieren braucht er das Ding bestimmt nicht.«
Er ließ das Schmuckstück in einer Tasche seiner Montur verschwinden und setzte sich quer über den Patz in Bewegung. »Das kann er sich nachher bei uns abholen – wenn er schön brav ist! Und jetzt gelüstet mich nach Essbarem und einer Mütze guten, mit feuchten Träumen angereicherten Erwischerschlafs.«
21
»Sie sind sich hoffentlich im Klaren darüber, dass ich gerade meine Anstellung aufs Spiel setze, bei Ubalthes?«
Die Stimme des Archivars, dünn und alles andere als selbstbewusst, bebte vor nervöser Erregung. Immer wieder sah sich der Mann über die Schulter um, als könne jeden Moment jemand den Lesesaal betreten und ihn wegen seines frevelhaften Ungehorsams verhaften und geradewegs in die Ewige Flamme werfen.
Hippolit, der an einem von mehreren langen Tischen über einen riesigen Haufen fadengehefteter Pergamentbündel gebeugt saß, winkte ab. »Ich habe es Ihnen doch schon erklärt: Die Anordnungen der Ermittlungsbehörde, der ich angehöre, rangieren in der juristischen Hierarchie über denen Ihres Vorgesetzten. Oder einfacher ausgedrückt: Befehle von oben heben solche von weiter unten auf! Sie handeln also absolut gesetzeskonform. Darüber hinaus beweist Ihre Bereitschaft, mir zur Hand zu gehen, Ihre beachtliche Intelligenz, mein lieber Eftar. Denn Sie haben die akute Dringlichkeit meiner Recherchen sofort erkannt.«
Letzteres war, gelinde gesagt, übertrieben. Trotz der Bescheinigung von Meister Wylfgung, die ihn als städtischen Beamten auswies, hatte Hippolit mehr als eine halbe Stunde auf den kleinwüchsigen Beamten mit dem schütteren Haar und den weit auseinanderstehenden Vorderzähnen einreden müssen, bevor Eftar überhaupt erwogen hatte, den Raum mit den Karteikasten noch einmal für ihn aufzuschließen.
Außer dem mickrigen Beamten hielt sich niemand mehr im Archiv auf. Als Hippolit das Gebäude betreten hatte, war Eftar gerade dabei gewesen, die letzten Gaslampen in den Büros im Erdgeschoss zu löschen, und nur die Androhung exorbitanter Repressalien, falls den Befehlen des IAIT-Vertreters nicht Folge geleistet würde, hatten den Archivar bewogen,
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