Der Pakt
verhinderte, daß sie wieder vornüber kippte.
Darunter lagen die ersten Stufen einer schmalen Stiege, die tief in die Öffnung hinein führte. Kaum jemand außer Tenango kannte diesen geheimen Zugang ins Pyramideninnerste - und ebensowenig wußte jemand, was dort zu finden war.
Tenango ging die Stufen hinab, bis zur ersten Treppenkehre. Aus einer verborgenen Mauernische zog er dort eine Fackel und Feuersteine. In flackerndem Schein setzte er seinen Weg schließlich fort.
Er passierte Zugänge zu kleineren Kammern, die entweder leer waren oder in denen allenfalls uralte Gebeine verrotteten. Den entsprechenden Gestank, der seine Nase traf, ignorierte der Priester.
Sein Ziel war die größte Kammer der Pyramide. Sie war vor langer Zeit, noch bevor es den Wall gegeben hatte, zu dem Zweck angelegt worden, daß ein Herrscher darin seine letzte Ruhe finden möge. Dafür jedoch war der Raum nie genutzt worden. Statt dessen hatte ihn einst ein Priester für sich und seinen eigenen Zweck entdeckt, und sein Geheimnis war flüsternd weitergegeben worden.
Tenango war - bislang - das letzte Glied in dieser Kette von Geheimnisträgern. Und wenn es gelang, Mayab vor dem Untergang zu bewahren und die Priester als neue Herrscher zu etablieren, würde er sein Wissen allen offenbaren. Weil dann dieser Raum und was er enthielt zum neuen Heiligtum des Mayabschen Volkes werden wür -den .
Aber noch war es nicht soweit. Noch gestattete Tenango nur sich selbst den Zutritt.
Zu beiden Seiten des Eingangs steckte er zwei Fackeln in Brand, dann eine Reihe weiterer, die in Halterungen entlang der Wände staken. Und schließlich war die Kammer in geheimnisvolles, tanzendes Licht gehüllt, das die Bedeutung dieses Ortes noch unterstrich.
Daß ihn draußen, in der Welt jenseits des Walls jedes Museum um die Ausstattung dieser Kammer beneidet hätte, konnte Tenango freilich nicht wissen. Daß es aber ein ganz besonderer Schatz war, den er hier hütete, wußte er wohl.
Stelen, Räuchergefäße und Figuren jedweder Art und Größe reihten sich aneinander. Ihr üppiges Dekor beeindruckte Tenango stets aufs Neue, aber ungleich mehr noch bedeutete ihm, was sie »erzählten«: die Geschichte des Maya-Volkes, bevor mit Mayab ein ganz eigenes, unseliges Kapitel darin aufgeschlagen worden war.
Die kunstvollen Dinge hier waren Zeugen jener Zeit, als Tenangos eigene Urväter und die eines jeden anderen Menschen hier noch in Freiheit gelebt hatten.
Die Tyrannen hatten vieles davon zerstört, als könnten sie damit die Zeit vor ihrer Existenz auslöschen. Aber jener Priester, der diese Kammer einst entdeckte, hatte so viel wie nur möglich gerettet, um es für nachfolgende Generationen zu bewahren - auf daß die alten Götter nicht vollends in Vergessenheit gerieten in Mayab ...
Tenango verharrte vor jeder Stele, in die das Abbild eines solchen Gottes gemeißelt war, und erflehte stumm deren Hilfe für das Vorhaben der Priesterschaft. Und es schien ihm, als würden seine bloßen Gedanken an diesem besonderen Ort von den Wänden aufgefangen und flüsternd zu ihm zurückgetragen.
Er fröstelte.
»Steht uns bei«, bat er dann leise, eine Figur des Gottes K in Händen, den ein rauchendes Beil in der Stirn charakterisierte. »Uns, dem Volke Mayabs - und helft mir, ich flehe Euch an, es zu führen ...«
»Das dachte ich mir!«
Tenango erstarrte für Sekunden, als sei er plötzlich selbst aus Stein. Dann endlich gelang es ihm, sich umzudrehen.
»Labnä?«
Die Priesterin stand im Eingang der Geheimen Kammer. Still lächelnd kam sie näher. Katzenhaft erschien Tenango die Art ihres Gehens - wiegend. Erregend .
»Wie konntest du mich hier finden?« fragte er lahm.
»Ich wußte schon seit längerem von deinem ... kleinen Geheimnis.« Sie setzte eine wohlbemessene Pause und fügte dann hinzu: »Und nun kenne ich auch dein großes!«
»Wovon sprichst du?«
»Macht. Der Wunsch zu regieren und zu herrschen - er beseelt dich.«
»Ich -«
»Leugne es nicht«, unterbrach Labna. »Ich habe deine Worte wohl vernommen. Und sie bestätigten nur, was ich schon vermutete.« Sie lächelte abgründig.
»Und?« Tenango zuckte die Schultern und lächelte gleichgültig. »Was gedenkst du nun zu tun? Geh hin und verkünde den anderen, was du erfahren hast. Es kümmert mich nicht.«
»Das habe ich nicht vor.«
»Sondern?«
»Gehört nicht an die Seite eines Königs -«, sie trat noch näher zu Tenango, bis er ihren Atem in seinem Gesicht spüren konnte, »auch eine
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