Der Pakt
lastete schwer auf ihr, drückte ihr den Atem ab, wollte ihr Herz und Seele zermalmen.
Derweil sah Bonampak zu ihr auf wie ein Hund, der den Tritt seines Herrn fürchtet, ohne zu verstehen, weshalb er ihn überhaupt hinnehmen mußte.
Die Züge des Maya waren schlaff, wie ohne Leben, dennoch kam es Lilith vor, als bewege sich dahinter ein Kaleidoskop von Emotionen, in irrsinniger Raserei. Doch immer blieb panische Angst Teil dessen, was sie in Bonampaks Gesicht las. Als wäre Angst das einzige, das ihm noch wirklich zu Bewußtsein kommen konnte.
Vorsichtig näherte sie sich ihm wie einem verschreckten Tier. Doch wich er um die Distanz eines jeden Schrittes, den sie tat, vor ihr zurück.
»Komm«, sagte sie, bemüht ruhig, obgleich sie sich selbst in höchstem Aufruhr befand, »ich will dir nichts tun, Bonampak. Nur helfen -«
Als könnte ich ihm wirklich helfen, dachte Lilith bitter. Als könnte irgend jemand oder etwas ihm noch helfen ...!
Aber zumindest aus dieser Unterwelt hinaus würde sie ihn bringen.
Sie streckte die Hand nach ihm aus, zeitlupenhaft, und ging selbst in die Hocke, um mit Bonampak auf gleicher Höhe zu sein.
Sein zermürbter Geist jedoch mißverstand ihre Bewegung und trieb ihn weiter zurück - hinein in den brennenden See!
»Nein!« schrie Lilith. Aber ihre Stimme ging unter im Prasseln und Fauchen jenseits des Ufers.
Als wären die Flammen lebende, feurige Tentakel, so langten sie nach Bonampak - und er ergab sich willig ihrem Griff, ließ sich hineinzerren in den Pfuhl. Als sei ihm jedes Schicksal lieber, als Lilith ausgeliefert zu sein.
Ohne jeden Laut ging Bonampak unter. Und starb stumm.
Liliths Blick verschwamm. Sie versuchte nicht einmal, sich glauben zu machen, es liege am Wabern der Hitzeschleier. Still ließ sie ihren Tränen freien Lauf .
Als sie sich schließlich abwandte, hatte sie Mühe, klar zu erkennen, wohin der Uferstreifen des Petroleumsees sich weiter erstreckte. Der Widerschein des Feuers erweckte lediglich die Schatten zum Leben, in denen der Boden verschwand.
Lilith wischte sich übers Gesicht, konzentrierte sich, und endlich sah sie, daß ein Stück entfernt mehrere Stollen aus der Seehöhle führten. Nur - welchen Weg sollte sie gehen? Welcher würde hinausführen aus diesem Labyrinth?
Aufs Geratewohl entschied sie sich für die mittlere Öffnung. Sie unterschied sich durch nichts von den übrigen; dahinter lag die gleiche Finsternis wie überall.
Einen Moment lang überlegte sie, ob sie in ihre Fledermausgestalt schlüpfen sollte. Deren Wahrnehmung hätte sie frühzeitig auf etwaige Verschüttungen aufmerksam gemacht. Doch sie entschied sich dagegen. Als Mensch fühlte sie sich einfach sicherer .
Gerade wollte Lilith den Fuß über die imaginäre Schwelle des Stollenzugangs setzen, als sie in der Bewegung innehielt wie gelähmt.
Erst glaubte sie einer Täuschung erlegen zu sein. Womöglich hatte sie das Geräusch der Flammen als Flüstern mißgedeutet.
Dann aber wisperte es von neuem, und diesmal deutlicher: »Hierher .«
Lilith folgte der Richtung, fand hinter der nächsten Gangöffnung schließlich jenen, der da auf sich aufmerksam gemacht hatte - - und erstarrte vor Entsetzen.
*
Der Junge bot einen fürchterlichen Anblick.
Seine Haut wirkte wie gesotten, die Augen waren ihm aus den Höhlen gestochen worden, den Wunden zufolge vor noch nicht allzu langer Zeit. Darüber hinaus jedoch zeigte sein Leib Verletzungen, die noch bluteten, und aus der Haut seines rechten Armes stak das zersplitterte Ende eines Knochens .
Es war nicht schwer zu erraten, wie der junge Maya sich diese Verletzungen zugezogen hatte: Ein Gang oder eine Höhle mußte über ihm eingestürzt sein, die Trümmer hatten ihn unter sich begraben. Ob es als Glück zu bezeichnen war, daß er es überlebt hatte, wollte Lilith nicht behaupten .
»Wer bist du?« kam es flüsternd von seinen Lippen. Er mußte ihre Nähe spüren.
Sie nannte ihren Namen.
»Lilith«, echote er. »Ich kenne dich nicht. Dein Name klingt fremd. Gehörst du zu uns?«
»Zu euch?«
»Zu den Tiefen.«
»Zu den Tiefen?« wiederholte Lilith unsicher. »Nein, ich -«, sie zö-gerte kurz, »- bin tatsächlich fremd hier.«
»Dann kommst du von draußen?« fragte der Junge. Die Aufregung schien ihn alle Schmerzen für den Moment vergessen zu lassen. »Von jenseits der Grenze?«
»Ja.«
»Dann weiß ich, wer du bist«, sagte der Junge mit belegter Stimme. »Die Mutter der Tyrannen, nicht wahr?«
Lilith
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