Der Pakt der Liebenden
Spinnen –, an denen sie ihre Eier anbringen, oder sie legen die Eier im Körper des Wirts ab. Irgendwann schlüpfen dann die Larven und fressen den Wirt. Dieses Verhalten ist in der Natur relativ weit verbreitet, und nicht nur bei Wespen. Manche Fliegenarten zum Beispiel verwenden Spinnen und Blattläuse als Wirtstiere für ihren Nachwuchs. Wenn sie ihre Eier ablegen, spritzen sie gleichzeitig ein Gift, mit dem das Wirtstier gelähmt wird. Anschließend fressen die Larven den Wirt von innen auf, wobei sie mit den Organen anfangen, die für das Überleben am wenigsten wichtig sind, zum Beispiel Magen und Darmtrakt, damit der Wirt so lange wie möglich am Leben bleibt, bevor sie sich schließlich über die lebenswichtigen Organe hermachen. Zu gute Letzt bleibt nur noch eine leere Hülse zurück. Diese Fressgewohnheit deutet auf ein gewisses instinktives Wissen darum hin, dass ein lebender Wirt besser ist als ein toter, aber ansonsten ist das Ganze ziemlich primitiv, wenn nicht sogar unbestreitbar scheußlich.«
Er beugte sich vor und tippte auf die abgebildete Wespe.
»Nun gibt es in Costa Rica eine Radnetzspinnenart mit dem schönen Namen Plesiometa argyra . Auch sie wird von Wespen gejagt, aber auf eine sehr interessante Art und Weise. Die Wespe greift die Spinne an, lähmt sie vorübergehend und legt ein Ei am Leib der Spinne ab. Dann fliegt sie weg, worauf sich die Spinne nach einer Weile erholt. Sie lebt weiter wie eh und je, spinnt ihr Netz und fängt Insekten, auch als die Wespenlarve, die sich an ihr festklammert, winzige Löcher in ihren Leib bohrt und ihre blutähnliche Flüssigkeit absaugt. Dies geht etwa zwei Wochen so weiter, und dann geschieht etwas sehr Sonderbares: Das Verhalten der Spinne verändert sich. Irgendwie, Genaueres weiß man nicht, injiziert die Larve der Spinne eine weitere Substanz, die deren Nervensystem manipuliert, worauf sie wie unter Zwang ein außergewöhnliches Netz spinnt. Statt des symmetrisch runden und reißfesten Netzes entsteht ein kleineres, chaotisches Gebilde, das der Wespenlarve als Halterung für ihren Puppenkokon dient. Sobald es fertig ist, spritzt die Larve dem Wirt ein weiteres, diesmal tödliches Gift und spinnt sich im neuen Netz ein, wo sie vor Wind, Regen und räuberischen Ameisen geschützt ist, worauf ihre nächste Entwicklungsstufe beginnt.«
Er entspannte sich etwas. »Wenn wir anstelle der Wespen ruhelose Geister und statt der Spinnen Menschen nehmen, dann können wir vielleicht verstehen, warum scheinbar ganz normale Männer und Frauen sich irgendwann völlig verändern und innerlich langsam absterben, während sie nach außen hin unverändert bleiben. Eine interessante Theorie, finden Sie nicht?«
»Interessant genug, um einen Mann aus dem hiesigen Kulturcenter zu verbannen.«
»Oder in eine Anstalt einzuweisen, wenn er so unklug ist, derartige Gedanken laut auszusprechen, aber Sie hören so etwas nicht zum ersten Mal: Geister, die von einem Körper zum nächsten ziehen, und Menschen, die länger leben, als es ihnen normalerweise vergönnt ist, langsam verfaulen und dennoch nicht sterben. Ist dem nicht so?«
Und ich musste an Kittim denken, der in seiner Zelle gefangen war, sich in sich selbst zurückzog wie ein Insekt im Winterschlaf, selbst als sein Körper verfiel. Und an eine Kreatur namens Brightwell, der auf einem jahrhundertealten Gemälde zu sehen war, auf einem Foto aus dem Zweiten Weltkrieg und schließlich in unserer Zeit, als er sich für ein Wesen, wie er selbst eines war, auf die Jagd begab, menschlich nur der Gestalt nach, aber nicht von der Art her. Ja, ich wusste, wovon Epstein sprach.
»Was den Menschen allerdings von der Spinne unterscheidet, ist sein Bewusstsein«, sagte Epstein. »Da wir davon ausgehen müssen, dass sich die Spinne ihrer Identität als solche nicht bewusst ist, versteht sie nicht, von dem Schmerz einmal abgesehen, der mit dem Gefressenwerden verbunden ist, was mit ihr geschieht, wenn sich ihr Verhalten verändert und sie letztlich stirbt. Aber ein menschliches Wesen würde sich der Veränderungen seines Körpers oder besser gesagt seiner Psyche, seines Verhaltens also, bewusst werden. Es würde ihn zumindest beunruhigen. Der Wirt könnte sogar einen Arzt aufsuchen oder einen Psychiater. Man würde Untersuchungen vornehmen. Man würde sich darum bemühen, die Ursache des Unwohlseins herauszufinden.«
»Aber wir reden nicht von parasitären Fliegen oder Wespen.«
»Nein, wir reden von etwas, das man nicht
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