Der Pakt der Wächter: Roman
das zu einer Textsammlung gehört, die die Abgesandten des Vatikans um 1450 auf Grönland beschlagnahmten, 1987 auf einer illegalen Auktion in Santiago erstanden.«
»Grönland?«
»Grönland.«
Luigi tritt an ein Regal und zieht eine Ausgabe von Niccolo di Bernando dei Machiavellis De Principatibus von 1532 heraus. Irgendwo zwischen den Seiten des Buches hat er das Dokumentfragment versteckt.
»Mein Kontakt lässt fragen, ob Sie interessiert wären, es zu kaufen.«
In der Tat, das Fragment ist weitestgehend zerstört.Trotzdem erkenne auch ich deutlich das Anch und das Ty. Die Ecke, an der vermutlich das Kreuz stand, ist abgerissen.
»Es wird das Skálholt-Fragment genannt«, sagt Luigi.
Der Text ist in Altnordisch geschrieben und vollständig lesbar. Es handelt sich um eine Aufzeichnung des Bischofs von Skálholt über eine Schenkung des isländischen Bischofs an die norwegische Kirche im Jahr 1250.
»Wie ist es nach Grönland gekommen?«
»Das wissen wir nicht.«
Aus dem Fragment geht hervor, dass es sich bei der Schenkung des Bischofs um zwei Holzfiguren gehandelt hat, die ein isländischer Schnitzer im Auftrag von Thordur kakali, Snorris Neffen, anfertigte.
In der Aufzeichnung ist die eine unter dem Namen St. Laurentius Tomas und die andere als St. Laurentius Didymus aufgeführt.
Ein Kribbeln wie von elektrischem Strom durchrieselt mich.
Tomas war einer der zwölf Jünger Jesu. Bekannter ist er unter dem Namen Judas Tomas Didymus.
Im Aramäischen bedeutet Tomas Zwilling, so wie Didymus die griechische Bezeichnung für Zwilling ist.
Es verschlägt mir die Sprache.
Es gibt zwei Figuren des heiligen Laurentius! Irgendwo auf der Welt befindet sich eine getreue Kopie des St. Laurentius aus Ringebu. In den Annalen hat man das Ganze damit getarnt, dass man St. Laurentius den Beinamen Tomas zufügte – Zwilling ! Der unter der Farbschicht der Bibel verborgene Text lautete:
Wie die Jungfrau Maria Jesus in ihrem Schoß trug birgt der Bauch den Schrein
Ehre sei Tomas!
Die letzte Zeile war ein listig versteckter Hinweis für die Wächter, dass sich der Schrein im Bauch der Zwillingsfigur befindet.
»Mein Kontakt sagte etwas von fünfundzwanzigtausend Euro«, sagt Luigi.
Ich bin mit meinen Gedanken schon ganz woanders. Luigi missversteht mein Schweigen. »Tut mir leid. Das ist der Marktpreis. In unserer Branche gibt es keine Forscher oder Idealisten, die sich gegenseitig unterstützen. Wir sind Unternehmer. Mein Kollege meint, Sie oder Ihre Auftraggeber wären sicher bereit, diese Summe zu bezahlen.« Er zögert. »Sollten Sie nicht interessiert sein, würde er das Fragment Scheich Ibrahim anbieten.« Als er meinen Blick sieht, fügt er hinzu: » Business .«
Ich gebe nicht zu erkennen, dass ich den Text bereits gelesen und abgespeichert habe. Stattdessen sage ich der Wahrheit entsprechend, dass fünfundzwanzigtausend Euro eine so hohe Summe sind, dass ich gerne eine Runde um den Block machen würde, um mit meinen Auftraggebern zu konferieren.
Luigi zündet sich eine dicke Zigarre an, als würde er bereits das erfolgreiche Geschäft feiern.
4
Ich schließe die Ladentür auf, betrete die Gasse und gehe zur Via del Governo Vecchio, wo ich ein Kartentelefon finde. Zuerst rufe ich Øyvind an, unterrichte ihn in kurzen Worten von der aktuellen Entwicklung und bitte ihn, St. Laurentius’ Zwilling ausfindig zu machen. »Such überall! In Kirchen, Museen, Schlössern, Herrenhäusern!«
Danach wähle ich Professor Llyleworths Mobilnummer. Er antwortet nach dem dritten Klingeln. Ich höre, wie er sich entschuldigt und eine Sitzung verlässt. »Bjørn! Was ist los? Warum sind Sie aus dem Schimmer-Institut verschwunden? Und was um alles in der Welt haben Sie in Ägypten zu suchen? Ich habe kaum verstanden, was Sie bei Ihrem letzten Anruf gesagt haben.«
»Ich bin in Rom.«
Ich wiederhole alles, was ich bereits durch den Lärmpegel in Luxor zu sagen versucht habe – dass wir aus dem Schimmer-Institut geflüchtet sind, als das SIS Stuart anrief, um ihn vor Scheich Ibrahims Männern zu warnen -, und berichte von unserer Fahrt durch die ägyptische Wüste und unserer Reise nach Rom.
Pause.
»Professor?«
»Ist Stuart bei Ihnen?«
Irgendwie klingt seine Stimme seltsam.
»Er ist im Archiv des Vatikans und sucht dort nach Dokumenten. Ich war gerade bei einem Antiquar, der fünfundzwanzigtausend Euro für ein Textfragment haben will, das beweist, dass St. Laurentius einen Doppelgänger hat, einen Zwilling.
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