Der Pakt der Wächter: Roman
anderen und heißen alle gleich. Auch die Fragen, die sie stellen, gleichen sich. Es kommt mir fast so vor, als würde jede einzelne Abteilung der Polizei und des Geheimdienstes einen Kommissar schicken, der mich, von Dolmetschern begleitet, ausquetscht, Videoaufnahmen macht und einen verblüffenden Mangel an Verständnis dafür an den Tag legt, dass öde alte Pergamente und brüchiges Papier einen Mord wert sein sollen.
Ich erzähle ihnen, was ich weiß.
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Am zweiten Tag stattet mir Professor Llyleworth einen Besuch ab. In Mantel und Hut sieht er aus wie der reiche Onkel, der die weite Reise von seinem britischen Landsitz bis hierher auf sich genommen hat, um sich ein Bild davon zu machen, wie es mir geht.
In wenigen Stunden habe ich ihn über alles informiert, was passiert ist, nachdem das SIS mich ins Schimmer-Institut geschickt hat. Als ich die Lewinski-Sammlung erwähne, beginnt er zu strahlen. Er hat vor Kurzem eine Frau eingestellt, die mir weiterhelfen kann. Laura Kocherhans ist Historikerin mit einem Ph.D. aus Yale. Eine begnadete Wissenschaftlerin. Bevor das SIS sie in das Hauptquartier in London abgeworben hat, wo Laura den Titel Chief Manuscript Researcher innehat, gehörte sie zu den erfolgreichsten Manuskriptdetektiven der Library of Congress in Washington D.C.
4
Nachdem Professor Llyleworth gegangen ist, schlafe ich ein paar Stunden. Ich werde von dem Klingelton des Handys geweckt, das Llyleworth mir dagelassen hat.
Laura Kocherhans’ Stimme klingt am Telefon etwas nasal und amerikanisch, hat aber einen weichen Nachklang, der verletzlich und sehr liebenswert wirkt.
»Selbstverständlich werden wir die Lewinski-Sammlung finden«, sagt sie, nachdem wir eine Weile geplaudert haben.
»Wieso sind Sie sich da so sicher?«
»Das Problem bei denen, die nicht finden, was sie suchen, ist, dass sie nicht hartnäckig genug sind.«
Das ist eine Frau nach meinem Geschmack.
Laura erklärt mir, dass es auf der ganzen Welt Tausende von Privatsammlungen gibt, von denen die Forscher nichts wissen, die aber jede Menge unbekannte Manuskripte von großem kulturellem und historischem Wert beinhalten.
»Wie suchen Sie nach einer verschwundenen Sammlung?«
»Auf die gleiche Weise wie Sie, nehme ich an. Mit Verstand und Fantasie. Und, falls nötig«, fügt sie mit einem reizenden Lachen hinzu, »mit Bestechung.«
»Und wo fangen Sie an?«
»In Dresden. Danach geht’s ins Staatsarchiv nach Berlin.«
Mein Bein muss noch ein paar Tage ruhiggestellt bleiben.
Dann schicken sie mich nach Hause, das Bein in Gips und mit zwei Krücken, die ich selber bezahlen muss.
Die Insel der Mönche
NORWEGEN
1
Die Nebelschwaden wehen kalt und feucht vom offenen Meer herüber und treiben über die zerklüftete Landschaft. Irgendwo weit über uns scheint die Sonne, aber davon ist nichts zu merken. Zwischen den Nebelfetzen ahne ich den rechteckigen, steinernen Kirchturm, der aus der Klosterruine aufragt.
Die Hände fest um die Krücken, stehe ich vor der provisorischen Barackenanlage, die zwischen dem Kloster und dem Anleger errichtet wurde. Ein paar Wochen ist es her, dass ich aus dem Flieger aus Italien gehumpelt bin. Der Bruch ist bald wieder zusammengewachsen. Meine vorläufige Suspendierung ist aufgehoben worden. Die Untersuchungskommission hat unter politischem Druck beschlossen, dass mein Vergehen, die Grabkammer im Lysekloster ohne offizielle Genehmigung zu öffnen, mich nicht meinen Arbeitsplatz kosten wird.
Unter höchster Diskretion haben wir die letzten zwei Wochen Tag und Nacht an den Vorbereitungen für die Ausgrabung gearbeitet. Die Einwohner von Selja und die ortsansässigen Bauarbeiter, die die Baracken aufgestellt haben, gehen davon aus, dass wir die Ruine der Albanuskirche restaurieren wollen.
Norwegische, schwedische, dänische, englische, französische, italienische und deutsche Archäologen, Historiker und Geologen laufen zwischen den Zelten und Baracken hin und her. Das Kultusministerium und das SIS teilen sich die Kosten. Es wurden an die hundert Fachleute eingestellt.
Von Hassan und den Männern des Scheichs habe ich nichts mehr gesehen oder gehört. Was natürlich nicht bedeuten muss, dass sie nicht jeden meiner Schritte beobachten.
Es heißt, der Flügelschlag eines Schmetterlings könne einen Orkan auslösen. Ganz im Einklang mit dem charmanten Postulat der Chaostheorie hat sich die Lösung des Rätsels um die St.-Laurentius-Figur aus dem Skálholt-Fragment ergeben, das
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