Der Pakt der Wächter: Roman
eine Karte über Südnorwegen. Auch wenn sie nicht hundertprozentig mit der heutigen Geographie übereinstimmt, finde ich es unfassbar, dass jemand mehrere hundert Jahre bevor die Kartographie als Teil der Wissenschaft akzeptiert wurde, eine derart präzise Karte angefertigt hat.«
»Haben Sie das Pentagramm auf die Karte gelegt?«
Ich sehe sie an, dann schweift mein Blick wieder zur Karte.
»Das Pentagramm und die Karte gehören zusammen«, sagt sie. »Sie müssen von den damaligen heiligen Stätten ausgehen. Bjørgvin. Nidaros. Hamar. Tunsberg.«
Während sie spricht, malt sie einen kleinen Punkt neben jeden der auf der Karte eingezeichneten Orte. Dann zieht sie eine Linie von Bergen nach Trondheim. Von Bergen nach Hamar, wo Nicholas Breakspear, später Papst Hadrian IV., um 1150 ein Bistum errichtete. Von Trondheim nach Tønsberg, Norwegens ältester Stadt und dem Machtzentrum im Mittelalter.
»Fehlen noch zwei Linien«, sagt sie, »dann ist das Pentagramm vollständig.«
»Aber im Nordwesten liegt doch kein religiöses Zentrum?« Ich zeige auf die fehlende Koordinate, die etwa in der Höhe von Stadlandet liegen dürfte.
»Sagen Sie das nicht. Dort gibt es mehrere mystische Höhlen. Zum Beispiel die Dolsteingrotte. Einer meiner Kollegen, der Wissenschaftler Harald Sommerfeldt Boehlke, hat die Höhle und die Sagen untersucht, die um sie ranken. Die Höhle liegt sechzig Meter über dem Meeresspiegel in einer Felswand, auf der Westseite der Insel Sandsøy in der Provinz Møre und Romsdal. Einer Legende zufolge soll Arthus in der Höhle einen Schatz versteckt haben. Ein Tunnel führt in einen großen Saal. Fünf solche Säle sind über enge Tunnel miteinander verbunden. Die Höhle misst fast hundertachtzig Meter, und früher war man überzeugt, dass von dort aus unterirdische Gänge unter dem Meer hindurch bis nach Schottland führten. Der Kreuzfahrer Ragnvald Orknøyjarl, der nach Ragnvald Bruseson von den Orkneys benannt war, dem Ziehsohn von Olav dem Heiligen, stattete der Höhle 1127 einen Besuch ab, um den Schatz zu heben, der dort versteckt sein sollte.«
Adelheid malt die zwei fehlenden Linien ein. Und fertig ist das Pentagramm auf der Norwegenkarte.
Im Verborgenen hat jemand – mit dem esoterischen Wissen von der Magie der Zahlen, Geometrie und Geographie – den Boden dafür bereitet, wo im 12. Jahrhundert der Nidarosdom, die Domkirche von Hamar, das Tunsberghaus in Tønsberg und ein Heiligtum im Umkreis von Bergen entstehen sollten.
»Die wenigsten wissen, dass eine ganze Reihe Heiligtümer im gesamten Norden entsprechend einer hermetischen, mathematischen Ordnung verteilt sind«, sagt Adelheid. Sie geht zum Regal, zieht ein Buch heraus und schlägt eine Seite auf, auf der eine Luftaufnahme von den Grabhügeln in Uppsala in Schweden zu sehen ist. »Die Hügel, Kirchen und Burgen in der Umgebung sind wie an Kreisen und Winkeln orientiert angeordnet.« Sie markiert die Figuren mit einem rot lackierten Fingernagel.
In einem anderen Buch zeigt sie mir eine Karte von Bornholm, der dänischen Insel in der Ostsee. »Wenn Sie ein Pentagramm über die Insel legen, können Sie sehen, dass die Rundkirchen, Burgen und heiligen Stätten der Tempelritter sich an den Linien des Pentagramms orientieren.«
Sie nimmt ein weiteres Buch zur Hand. »Die Isländer Einar Pálsson und Einar Birgisson haben dokumentiert, wie große Höfe, Kirchen und andere wichtige Plätze, von der Landnahme bis in die Gegenwart, nach heiligen geometrischen Prinzipien angelegt und gebaut wurden. Stellen Sie sich einen Kreis vor, der den Horizont und den himmlischen Tierkreis symbolisiert. Die Speichen innerhalb des Kreises werden über die Bewegung der Sonne definiert und ergeben in der Summe eine kosmische Karte, die ein Beleg dafür ist, dass die Isländer etwas über ägyptische Kosmologie gewusst haben müssen.«
Ich nippe erneut an dem Kräutertee, der nur noch lauwarm ist.
Adelheid zieht immer mehr Bücher aus dem Regal. »Die gleichen Muster und Mysterien finden sich hier in Norwegen. Die wissenschaftlichen Arbeiten von Bodvar Schjelderup und Harald Sommerfeldt Boehlke, die beide ihre Funde in spannenden Büchern beschrieben haben, dokumentieren, wie weit verbreitet die Heilige Geometrie auch in der norwegischen Geschichte war. Die Wikinger waren weit mehr als nur blutrünstige, brutale Krieger. Sie waren tiefgläubige und suchende Menschen. Sie legten großen Wert auf die Harmonie des Daseins. Sehen Sie sich nur die
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