Der Pakt der Wächter: Roman
namens Hassan zur Strecke zu bringen. Ich kann stur sein, dass es kracht. Jeder vernünftige Mensch hätte an dieser Stelle aufgegeben. Aber ich? Nichts da. Tief in meinem Innern sitzt ein buckliger Sonderling, der versessen nach Antworten sucht und ohne zu zögern ein Uhrwerk auseinandernimmt, um das Geheimnis der Zeit zu ergründen. Ich bin, wenn möglich, noch neugieriger und versessener, als ich ängstlich bin. Jetzt aufzugeben wäre ein Verrat an Sira Magnus.
Die Polizei stattet mich mit einem Notalarm aus.
Für die nächsten Tage bekomme ich einen ganz persönlichen Bodyguard, einen Polizisten mit Stöpsel im Ohr, einer verspiegelten Sonnenbrille und einem wachsamen Auge für Heckenschützen und Attentäter.
Außerdem kriege ich meinen Computer zurück. Die Programme, die Hassan und seine Männer auf meinem Rechner installiert haben, haben sich auf unerklärliche Weise selber gelöscht oder unerkennbar in andere Programme gemogelt. Das Einzige, worauf die Techniker gestoßen sind, ist ein Dialer mit Verbindung zu einem karibischen Proxyserver, der wiederum mit einem Server in Abu Dhabi kommuniziert.
8
An der Uni tausche ich das Büro mit einem Kollegen, der gerade im Urlaub ist. Mein Bodyguard hat es sich auf einem Stuhl auf dem Flur gemütlich gemacht, liest VG und langweilt sich, während er auf ein Lebenszeichen der Republikanergarde wartet.
Ich rufe Thrainn in Island an.
Ich höre seiner Stimme an, dass ihn etwas bedrückt. Er sucht nach den passenden Worten, um nicht in einem allzu schlechten Licht dazustehen, als er gesteht, sich überwacht zu fühlen. Irgendjemand spioniert ihm nach, blättert in seinen Unterlagen, wenn er das Büro verlässt, schleicht durch seine Wohnung, wenn er nicht zu Hause ist. Er sagt das mit einem Lachen, das weniger Angst als seine Befürchtung ausdrückt, was ich von ihm denken könnte.
Ich erzähle ihm von Hassan, von dem Polizisten, der zu meinem Schutz draußen auf dem Flur sitzt, und unterrichte ihn über all das, was seit meiner Rückkehr nach Norwegen passiert ist. Schließlich fordere ich ihn auf, die Polizei anzurufen und deutlich zu machen, wie ernst die Angelegenheit ist.
»Die sind hinter uns her, Thrainn«, sage ich.
Es klingt, als versuche er, ein ganzes Ei runterzuschlucken. »Bis jetzt hatte ich gehofft, mir das alles nur einzubilden.«
»Sind die Thingvellirrollen sicher untergebracht?«
»Ja. Wir haben sie …«
»Warten Sie. Sagen Sie nichts.«
»Aber …«
»Womöglich wird die Leitung abgehört.«
Er verstummt. Schweigt lange.
Bevor wir auflegen, verabreden wir, dass ich ihn von einem anderen Telefon auf dem Apparat eines Kollegen anrufe.
Über diese sichere Verbindung erzählt Thrainn mir, dass Wissenschaftler vom Árni-Magnússon-Institut die Thingvellirrollen in ein Labor gebracht haben, das an die Handschriftenausstellung im Kulturhaus im Zentrum von Reykjavik angeschlossen ist, wo sie so tun, als würden sie ein Folio vom Flateybok aus dem fünfzehnten Jahrhundert, den Codex Flatöiensis , präparieren.
Und dann fügt Thrainn mit vor Selbstgefälligkeit zitternder Stimme hinzu, dass er ein Ablenkungsmanöver inszeniert hat. Vier Hauptfachstudenten, zu hundertfünfzigprozentiger Geheimhaltung angehalten, arbeiten im Hauptlabor des Árni-Magnússon-Instituts an einer Kopie der Heimskringla aus dem 18. Jahrhundert. Vielleicht glauben die Gangster ja, dass dort die Thingvellirrollen untersucht werden.
»Haben Ihre Forscher denn schon was rausgefunden?«, frage ich.
»Es scheint sich um eine Bibelabschrift zu handeln.«
»Was meinen Sie mit scheint ?«
»Na ja.« Er zögert die Antwort hinaus. »Die Sprache der einen Spalte ist koptisch. Die zweite Spalte ist in einer alten Form von Hebräisch abgefasst, auch klassisches oder biblisches Hebräisch genannt. Die Übersetzung ins Koptische steht neben dem originalhebräischen Text. Die hebräische Bibel Tanákh und das Alte Testament wurden in dieser Sprache geschrieben, sie unterscheidet sich nicht dramatisch vom modernen Hebräisch. Die Grammatik ist etwas anders und der Sprachstil archaischer.«
» Ist es nun eine Bibelabschrift oder nicht?«
»Die Übersetzer sind verwirrt. Man könnte vielleicht von einer alternativen Manuskriptversion sprechen. Bei Teilen des Textes handelt es sich um eine Kopie der Bücher Mose. Andere Teile sind unbekannt. So weit sind wir in der Übersetzung noch nicht vorgedrungen. Bisher haben wir nur Stichprobenübersetzungen aus dem ganzen Dokument
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