Der Pakt der Wächter: Roman
Dies meisten Informationen in dieser Angelegenheit hat das SIS von mir.«
»Als da wären?«
»Ich habe bekannte und unbekannte Dokumente und Briefe ausgegraben. Seit dreißig Jahren erforsche ich jetzt diese Dinge.«
»Diese Dinge?«
»Seit mehr als zehn Jahren wissen wir von der Existenz der Dokumente, die inzwischen als Snorri-Codex oder Thingvellirrollen bekannt sind. Wir wussten nur nicht, wo sie abgeblieben waren. Erst als Ihr Freund Sira Magnus darüberstolperte.«
»Ich dachte, beide Dokumente wären den Historikern unbekannt gewesen.«
»Den meisten Historikern, ja. Wir haben diskret gearbeitet. In das Projekt waren Archäologen, Historiker, Linguisten und Ägyptologen eingebunden. Wir haben die Dokumente untersucht, die in den letzten Jahrzehnten vom Vatikan freigegeben wurden, und Zugang zu dem Material bekommen, das in ägyptischen Archiven und Museen lagert. Wir haben auf Island und in Norwegen die altnordischen Archive durchstöbert, aber nie auch nur verlauten lassen, nach was wir eigentlich suchen.«
»Darf ich einen Blick auf das werfen, was Sie gefunden haben?«
»Natürlich. Morgen. Denn jetzt, verehrter Bjørn, bin ich betrunken.«
Im Flötenkoffer in meinem Zimmer liegt der Runenstab aus Urnes. Die vier Haare, die ich in den Spalt geschoben habe, als ich den kleinen Koffer geschlossen habe, sind noch an Ort und Stelle. Morgen werde ich den Stab dem Labor übergeben.
Ich bleibe in meinem Zimmer und sehe fern, wobei ich den Gedanken zu verdrängen versuche, dass sie bestimmt auch hier sind. Meine Verfolger. Hassan und seine Leute. Die Unsichtbaren. Sie observieren mich durch eine mikroskopische Kamera, von der ich nichts weiß. Sie wollen meinen Atem hören, wenn ich mich schlafen lege.
4
Im Keller unter der Bibliothek des Schimmer-Instituts liegt das Archiv. Es ist weder dunkel noch verstaubt, sondern im Gegenteil hell und sauber. In langen Reihen verschiebbarer Metallschränke werden Dokumente aufbewahrt, die mich an die berühmte Bibliothek in Alexandria denken lassen.
Das Archiv des Schimmer-Instituts umfasst jahrtausendealte Lehmtafeln mit Keilschrift, Papyrusrollen, harte Pergamente und Handschriften auf vergilbtem, geschöpftem Papier. Hier kann man Fragmente biblischer Originaltexte finden, kaiserliche Verordnungen mit Unterschriften von Tiberius, Vespasian, Hadrian und Caesar, Papyrusrollen, die vielleicht schon Kleopatra gelesen hat, und militärpolitische Berichte aus der römischen Provinz Judäa, in denen von einem beginnenden Aufruhr die Rede ist und von einem Aufwiegler namens Jesus. Hier lagern Handschriften des römischen Historikers Flavius Josephus und das Original von Paulus’ erstem Brief an die Korinther.
Um mich herum wimmelt es von Wissenschaftlern, die wie erwachsene Ausgaben der Schüler aussehen, die immer in der ersten Reihe gesessen haben, dafür aber bei den Schulfesten ganz hinten an der Wand standen. Kleine Männer mit schütterem Haar und runden Brillengläsern. Große, magere Frauen mit Pferdeschwänzen, deren Augen zeigen, dass sie tief in die Metaphysik abgetaucht sind, um dort die Antworten auf die subtilsten aller Fragen zu suchen. In einer Ecke schläft ein alter Mann, der sein Leben der Dokumentation gewidmet hat, dass eine vergessene judäische Sekte enge Verbindungen zu einer gnostischen Gruppierung hatte, die der gängigen Meinung nach bereits hundert Jahre zuvor massakriert worden war. Begabte junge Frauen mit Schal, Federmäppchen und Stipendien der renommiertesten Universitäten ihrer Heimatländer suchen nach den neuesten Erkenntnissen über die Verfolgung der Katarer. Hier sitzen christliche Theologen Seite an Seite mit orthodoxen Juden und muslimischen Schriftgelehrten.
Und Forscher wie Stuart Dunhill und ich.
Der Alkoholiker und der Albino.
Wir sitzen an einem Lesetisch neben einem Aquarium mit farbenfrohen Fischen, die uns mit halb geöffneten Mäulern anglotzen. Genauso fühle ich mich selbst auch manchmal.
Stuart Dunhill hat einen Stapel flacher Pappschachteln und eine Doppelrolle mit zwei Handgriffen geholt. Er entrollt sie auf einem langen Tisch.
»Die Tora! Die jüdische Bezeichnung für die fünf Bücher Mose. Das hier ist eine vierhundert Jahre alte Kopie. Mit anderen Worten: nicht sonderlich alt. Ursprünglich wurden die Texte auf Rollen wie diesen geschrieben. Sie konnten mehrere Meter lang sein. Erst später fand man heraus, dass Bücher praktischer zu produzieren und einfacher zu lesen waren. Das alte
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