Der Pakt der Wächter: Roman
kalligraphierten Buchstaben auf die Öffnungszeiten hinweist, stehen die traurigen Überreste eines schwarzen Herrenfahrrades, das mit einer Kette an einem Rohr angeschlossen worden ist.
Stuart Dunhill zieht sich den Blazer zurecht. »Sollen wir reingehen?«
Auf dem Weg vom Hotel hat er mir von dem Mann erzählt, den wir treffen werden. Luigi Fiacchini ist eine Legende im illegalen Antiquariatsgeschäft. Er kennt jeden, der in der Branche aktiv ist: Antiquare, Bibliothekare, Wissenschaftler, Buchhändler und Sammler. Er umgibt sich sowohl mit rechtschaffenen und ehrlichen Buchliebhabern als auch mit den lichtscheuen Taschenspielern des Milieus: bibliophile Männer und Frauen aus Mailand und Florenz, aus Wien, Paris, Hamburg und London, aus St. Petersburg und Moskau, Oslo, Stockholm, Kopenhagen, Helsinki und Reykjavik, aus New York und San Francisco, Hongkong und Singapur, Buenos Aires, Santiago, Rio de Janeiro, Sydney und Kapstadt. Von seiner Basis in Rom aus hat Luigi Fiacchini den Kauf und Verkauf einiger der teuersten Büchersammlungen und Einzelwerke der Welt vermittelt. Er hat als Mittelsmann fungiert, als Opus Dei eine Kopie des Lukasevangeliums aus dem 5. Jahrhundert kaufte, und den Gerüchten zufolge war er es auch, der das handschriftliche Manuskript des vergessenen Shakespearestückes Love’s Labour’s Won aufspürte, für das ein Sammler in den Emiraten angeblich fünfzig Millionen Dollar gezahlt haben soll. Er stand hinter dem Verkauf einer der vierzig existierenden Folioausgaben der gesammelten Werke Shakespeares, die sieben Jahre nach dem Tod des Meisters gedruckt wurden und für die ein Kaufpreis von 2,8 Millionen Pfund erzielt wurde. Des Weiteren war Stuart zu Ohren gekommen, dass Luigi ebenfalls seine Finger im Spiel hatte, als bei Sotheby’s in London einer der ältesten gedruckten Atlanten der Welt aus dem Jahr 1477 versteigert wurde, dessen Kartendarstellungen noch auf den Arbeiten des Geographen Klaudios Ptolemaios aus dem 2. Jahrhundert beruhten, und der für 26,5 Millionen Kronen den Besitzer gewechselt hatte.
Als wir den Laden betreten, geht auf dem Bürgersteig ein Mann an uns vorbei. Unsere Blicke verhaken sich für einen kurzen Moment, und ich bin sicher, ihn schon einmal gesehen zu haben. Er gibt aber mit keiner Miene zu erkennen, dass er mich ebenfalls kennt, so dass ich ihn bereits wieder vergessen habe, als die hysterische Glocke unter dem Rahmen der Eingangstür unser Kommen ankündigt.
Die bescheidene Fassade des Antiquariates – ein Fenster und eine Tür – hat mich zu der Ansicht verführt, das Geschäft wäre klein, dabei sind die Räume, die sich dahinter befinden, riesenhaft. Zuerst betritt man einen recht engen Raum mit Büchern an allen Wänden und einem Tresen mit einer alten Kasse. Doch dahinter weitet sich die Buchhandlung und erinnert eher an eine Bibliothek. Tausende von Büchern füllen das Labyrinth aus Regalen, Tischen, Kästen und Archivschränken. Die Luft ist erfüllt von dem wundersamen Geruch der Bücher: Papier und Papierstaub, Einbände, Leim und ein Hauch des Schweißes all der Protagonisten, die zwischen den Buchdeckeln ihre Kämpfe ausfechten.
Stuart stupst mich in die Seite.
Ich hatte mir Luigi Fiacchini als groß gewachsenen, hageren, distinguierten italienischen Grafen vorgestellt, mit grauen Haaren und weisem Blick. Doch der Mann, der uns »Momento, momento!« zurufend den Rücken zudreht und dabei Bücher einsortiert, ehe er sich mit ruckhaften, zögerlichen Bewegungen umdreht, um nachzusehen, wer ihn stört, ist klein und gebeugt, mit schütteren Haaren und trüben Augen, die in vollkommen unterschiedliche Richtungen zu schauen scheinen. Ihm fehlen bloß noch ein Buckel, Schuppen anstelle der Haut und eine lange Reptilienzunge.
»Stuart!«, platzt er heraus.
»Luigi!«, antwortet Stuart.
Sie schütteln sich inbrünstig die Hände, um ja nicht dem Bedürfnis nachzugeben, den anderen zu umarmen.
Stuart stellt mich vor. Luigi betrachtet mich mit der unverhohlenen Neugier, die sich nur ein missgestalteter Mensch einem anderen missgestalteten Menschen gegenüber erlauben darf.
»Mister Beltø! Sie haben in meinen Kreisen für reichlich Aufruhr gesorgt, als Sie den Shrine of Sacred Secrets beschlagnahmt haben. Bedauerlich, dass Sie damit nicht auf den freien Markt gegangen sind. Sie wären Milliardär geworden!«
Sein Lachen klingt wie ein Windhauch, der mit Buchseiten raschelt; eher ein akustisches Signal als ein Ausdruck von Freude.
Er ist
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