Der Pakt - Rügen Thriller
Plötzlich hatte Stralsund seinen eigenen Justizskandal. In den beteiligten Behörden hatte bereits eine fieberhafte Suche nach dem Maulwurf begonnen.
»Ich denke, da könnte ich euch weiterhelfen«, grinste Gruber und ließ sich noch etwas tiefer ins Wasser gleiten.
Nach dem heißen Bad nahm er eine kalte Dusche. Dann zog er sich den weichen Bademantel über, der vom Hotel zur Verfügung gestellt wurde, und ging zurück ins Wohnzimmer.
Heute war sein letzter Tag auf Phuket.
Am Sonntag reiste die Abgeordnetengruppe zurück nach Deutschland. Gruber zog in Erwägung, Rückenschmerzen vorzutäuschen und sich ein Upgrade in die First Class zu gönnen. Das würde den langen Flug ein wenig angenehmer machen. Heißhungrig fiel er über sein Frühstück her, das aus Eiern und Speck bestand, aus frischen Waffeln, Crêpes, Grapefruitsaft und einem Teller Melonenscheiben. Er aß mit dem Appetit eines Mannes, der mit sich und seiner Welt gänzlich im Reinen war.
18
Juli stand vor dem Spiegel und betrachtete ihren Kopf. Nein, sie hatte keine Chemotherapie hinter sich. Und sie hatte ihre Haare auch nicht abrasiert. Die Ärzte nannten es Alopecia congenita. Angeborene Haarlosigkeit.
Als Kind hatte sie das zur Außenseiterin gemacht. Nicht, dass dafür ein kahler Kopf nötig gewesen wäre. Ein Mädchen aus dem tiefsten Ruhrgebiet, das in Marseille aufwuchs, anfangs ohne ein einziges Wort Französisch und später mit einem Akzent, der so zähflüssig war wie Ahornsirup, das fügte sich ebenso gut ein wie eine zarte weiße Taube in eine Schar gehässiger Aaskrähen.
Ihre Mutter, eine Lehrerin, stammte aus Herne. Sie hatte am Gymnasium Mathematik und Englisch unterrichtet. Während einer Studienreise nach London hatte sie einen Kollegen aus Marseille kennengelernt, mit dem sie nicht nur Vokabeln austauschte. Leider war Monsieur Bellone verheiratet, und Juli wuchs zunächst im Ruhrgebiet auf. Irgendwann verspürte Monsieur Bellone jedoch das dringende Gefühl, sich um seine deutsche Familie kümmern zu müssen. Er ließ sich scheiden und redete so lange auf Julis Mutter ein, bis sie zu ihm zog.
Für Juli, gerade zehn geworden, begann das Leben wieder bei null. In Herne hatten sich die meisten an ihren kahlen Kopf gewöhnt. Nicht, dass er ihr deshalb keinen Spott eingebracht hätte. Kinder waren grausam, in jedem Land und in jeder Stadt. Aber in ihrem Viertel hatte Juli von Geburt an dazugehört. In Marseille war sie eine Fremde. Anfangs verstand sie nicht einmal, was die anderen Kinder sagten. Aber dem hämischen Lachen nach zu urteilen, sprachen sie meistens über sie. »Boule de billard« war eine der ersten französischen Redewendungen, die sie lernte.
Glatzkopf.
Ihre Herkunft und ihr Aussehen machten sie zur Lieblingszielscheibe der verschworenen Cliquen an der Schule. Juli hörte schon bald auf zu zählen, wie oft sie ihr Essensgeld abliefern musste . Wie oft ihre Hausaufgaben verschwanden. Wie oft sie auf dem Schulhof getreten und gestoßen wurde. Einmal zwang eine Horde johlender Mädchen sie sogar, Urin zu trinken. Es schien keinem Lehrer aufzufallen, dass sie bei Gruppenarbeiten immer allein saß. Dass die anderen, wenn sie im Unterricht etwas sagen wollte, lachten, höhnten und sie beleidigten.
Später, als Mobbing und Schikanen längst zu einem festen Teil ihres Alltags geworden waren, hatte Juli begonnen, sich mit Kun-Tai-Ko zu beschäftigen, einer Mischung asiatischer Kampfsportarten. Dreimal pro Woche ging sie zum Training. Egal, ob es in Strömen regnete oder gerade das neueste Buch ihrer Lieblings autorin auf dem Nachttisch lag. Block-, Schlag- und Stoßtechniken, Würfe und Kickboxen waren plötzlich sogar wichtiger als ihre Hausaufgaben.
Einen Tag nach ihrem vierzehnten Geburtstag, brachte sie endlich den Mut auf, ihr Können anzuwenden.
Die Jungs hießen Eric und Laurent. Pickliger, asozialer Abschaum aus der Parallelklasse. Ihre grell geschminkten Freundinnen standen ihnen in Sachen Bösartigkeit in nichts nach. Nach dem Unterricht wollten die vier mit dem üblichen Ritual beginnen. Sie nahmen Juli die Schultasche weg und warfen sie sich zu. Dann schubsten sie Juli herum, von einem zum anderen.
»Los, gib dein Geld her, Glatzkopf!«, sagte Eric.
Juli sah ihn stumm an.
Laurent versetzte ihr eine Ohrfeige. »Hörst du schlecht? Dein Geld!«
Sie flog nach hinten, gegen ein parkendes Auto. Der Seitenspiegel gab ein unangenehm knackendes Geräusch von sich.
»Oh, du hast den Wagen beschädigt«, sagte
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