Der Pakt - Rügen Thriller
Kirijenkos Tod, schien diese Annahme zu bestätigen.
Oder war das nur ein dummer Zufall? Machte die Frau hier gerade Urlaub?
Unwahrscheinlich, dachte Juli. Das Windwood war zu teuer für eine Beamtin. Außerdem hatten ihre beiden Zusammentreffen ein Bindeglied, und dieses Bindeglied war nun einmal der ehrenwerte Richter Wladimir Kirijenko aus Moskau. Derartige Zufälle gab es nicht. Nicht in ihrer Welt.
Doch noch war ja nichts passiert.
Dass sie die Schwarzhaarige wiedererkannt hatte, hieß nicht, dass es umgekehrt ebenso war. Vor vier Jahren hatte Miss Supermodel keinen Grund gehabt, in ihr mehr zu sehen als eine unbe deutende Hotelangestellte. Obendrein hatte Juli damals eine dunkle Perücke getragen. Wie groß war die Gefahr, dass sich die Schnüfflerin an ihre Begegnung damals erinnerte?
»Entschuldigung«, rang sich Juli ab und trat einen Schritt zurück.
Manja Koeberlin nickte nur und ging an ihr vorbei. Nichts deutete darauf hin, dass sie an ihrem blonden Gegenüber irgendein Interesse hatte. Achtlos warf sie ihr klitschnasses Sitztuch auf einen Holzschemel und tappte in Richtung der Duschen.
Oder bilde ich mir das alles nur ein? Spielt mir meine Intuition einen Streich, fragte sich Juli, als sie die natürliche Gelassenheit regis trierte, mit der die Schwarzhaarige ihre nackte, überaus reizvolle Kehrseite präsentierte. Genau das war es, was sie an den Supermodels dieser Welt so hasste. Nicht ihre Schönheit.
Sondern ihre Art, sie als normal zu betrachten.
26
Der Schrei hatte Juli an ein waidwundes, von Wölfen umkreistes Reh erinnert. Sie hatte ihre Pistole aus dem Halfter gerissen und war mit großen Schritten die Treppe hinaufgestürmt.
Als sie die letzte Stufe erreichte, ging die Schlafzimmertür auf und Bernhard Lieber trat heraus, in einen eleganten chinesischen Morgenmantel gehüllt. Er schaltete das Licht im Korridor ein und schloss bedächtig die Tür hinter sich.
»Tut mir leid, dass wir Sie aufgeschreckt haben, Frau Bohl. Aber es ist alles in Ordnung.« Er lächelte beruhigend. »Meine Frau hatte einen Albtraum.«
»Einen Albtraum?«, fragte Juli misstrauisch.
»Ja. Ich danke Ihnen für Ihre Wachsamkeit, aber …« Liebers Tonfall war eine Mischung aus Herablassung und Müdigkeit. »Wenn Sie nun freundlicherweise wieder Ihren Posten beziehen wollen. Ich schaue noch nach unserem Sohn.«
Juli drehte sich wortlos um.
Am nächsten Morgen absolvierte sie einen Inspektionsrundgang auf dem Grundstück. Als sie ins Haus zurückkehrte, sah sie, wie Tanka Lieber die Treppe hinunterkam. Sie nickte Juli kurz zu und wollte sich in die Küche begeben.
»Einen Moment bitte, Frau Lieber!«
Unsicher drehte Tanka sich um. Ihre Augen hatten ein intensi ves Blau, wie die tiefsten Stellen des Meeres. Jetzt schienen sie etwas feucht zu sein. Juli genügte ein einziger Blick, um alles darin zu sehen, die Scham und die Angst und die Resignation.
Tankas Unterlippe war aufgeplatzt, die Enden der Wunde klafften etwas auseinander. Am Kinn sah Juli eine frische Prellung. Diesmal hatte Tanka nicht versucht, sie mit Make-up zu verdecken. Juli trat dicht an sie heran und fuhr mit dem Finger vorsichtig an der blutigen Unterlippe entlang. Dann betrachtete sie mit gleicher Sorgfalt die Verletzung am Kinn und den Bluterguss auf der Wange, den sie gestern schon bemerkt hatte. Tanka wirkte angesichts der beinahe intimen Berührungen verunsichert. Aber sie hatten etwas derart Wohltuendes, ja Tröstendes, dass sie es geschehen ließ.
»Das ist also seine dunkle Seite«, flüsterte Juli.
Tanka vermied ihren Blick. »Es hat ihm leid getan«, erwiderte sie, ebenfalls flüsternd.
»Es tut ihm immer leid. Bis zum nächsten Mal.«
Tanka schüttelte den Kopf. »Bernhard ist gar nicht so. Er kann unglaublich zärtlich sein. Aber wenn er im Büro ein Problem hat oder über irgendetwas wütend ist, dann …«
»… brauchen Sie am nächsten Tag jede Menge Make-up.« Julis Finger kehrten zu Tankas Unterlippe zurück. »Ich fürchte allerdings, diesmal reicht Make-up nicht aus. Das hier muss genäht werden.«
»Sind die Angestellten von Asbeck Security etwa auch medizinisch ausgebildet? Hervorragend, Frau Bohl!« Lieber war lautlos die Treppe heruntergekommen, wieder in einen dunklen Anzug gekleidet. Jovial lächelnd fügte er hinzu: »Aber vielleicht sollten Sie sich nun lieber um die Dinge kümmern, für die Sie bezahlt …«
Er kam nicht dazu, den Satz zu vollenden, denn Juli trat einen Schritt vor, packte ihn mit
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