Der Pakt - Rügen Thriller
beiden Händen am Revers und versetzte ihm einen wuchtigen Kopfstoß. Der Manager prallte zurück und stürzte auf die Treppe. Es gab ein helles Pling , als sein goldener Manschettenknopf das hölzerne Geländer streifte. Schon war Juli über Lieber, die Hand an seinem Hals. Ihre Gesichter waren einander so nahe, dass sie sein Rasierwasser riechen konnte.
»Fass sie noch einmal an, du Drecksack, und ich mach dich fertig! Ich mach dich ein für alle Mal fertig, hörst du!«
»Juli!« Das kurze, scharfe Kommando kam vom Eingang. Georg, der sie wieder ablösen wollte, stand in der Tür.
Sie ließ von Lieber ab, indes nicht, ohne ihm noch einmal mit aller Wucht zwischen die Beine getreten zu haben. Während er sich heulend auf der Treppe krümmte, stürmte Juli ohne ein Wort zu sagen an Georg vorbei.
Natürlich schmiss Asbeck sie umgehend hinaus.
Ein Angriff auf einen Klienten war so etwas wie ein Sakrileg in diesem Geschäft. Er hörte sich nicht einmal an, was sie zu sagen hatte. Binnen einer halben Stunde hielt sie ihre persönlichen Sachen in den Händen und wurde von einem Kollegen aus dem Gebäude eskortiert. Ihre Karriere als Personenschützerin war damit beendet. Auch ein anderes Unternehmen würde sie nicht mehr einstellen, dafür würde Asbeck sorgen, versicherte er ihr.
Juli zog sich in ihre kleine Dachgeschosswohnung zurück, trank Crémant mit Eis und dachte über ihre Zukunft nach. Die Geschehnisse am Starnberger See versuchte sie aus ihrem Gedächtnis zu streichen.
Bis sie drei Wochen später die Klatschspalte der Münchner Abendzeitung las. Von einem tragischen Unglücksfall im Hause des bekannten Fondsmanagers Bernhard Lieber war da die Rede. Dessen siebenjähriger Sohn Anton sei die Treppe hinunterge stürzt und an seinen schweren Kopfverletzungen verstorben. Seine Mutter habe einen Schock erlitten. Sie habe ins Krankenhaus eingewiesen werden müssen. Juli ließ die Zeitung sinken und schloss die Augen.
Eine Stunde später verließ sie die Wohnung. Ihr Ziel war das Klinikum Starnberg.
27
Die Neptun-Bar war nur über eine Wendeltreppe zu erreichen. Sie befand sich in einem galerieartigen Dachaufsatz des Windwood und wurde von einer Glaskuppel überragt, die einen freien Blick auf die Sterne gewährte.
Hier oben zeigte sich das vornehme Hotel von einer überra schend warmen Seite. Die aus alten Türen gezimmerten Mahagoni tische mit den dunkelroten Ledersesseln standen weit genug auseinander, um ungestörte Gespräche zu ermöglichen. An den Wänden hingen stierblutfarbene Regale mit gebundenen Büchern. Weiche Teppiche verschluckten die geschäftigen Schritte der Kellner. Erleuchtet wurde der Raum nur von Kerzen und einem in der Ecke flackernden Kaminfeuer. In der Luft hing der Geruch von altem Pergament.
Juli öffnete die polierte schwarze Tür und begab sich zum Tresen. Nach einem kurzen Blick in die Karte bestellte sie sich einen Ardberg Provenance. Während der Barkeeper die bronzefarbene Flüssigkeit bedächtig in ein Glas goss, ließ Juli mit der interessierten Miene eines neuen Gastes den Blick schweifen.
Etwas seitlich vom Fenster saßen Nora Rottmann und Kerstin Gruber, in eine angeregte Unterhaltung vertieft. Sie waren vor etwa fünf Minuten gekommen. Juli hatte von einem kleinen Personalraum aus beobachtet, wie sie zur Wendeltreppe gegangen waren, und dann noch etwas gewartet, ehe sie ihnen folgte. Dass die beiden Schwestern ihre Abende meistens hier in diesem gemütlichen Refugium verbrachten, hatte Juli ebenfalls Walters Dossier entnommen.
Miss Supermodel war nirgends zu sehen.
Juli war mittlerweile davon überzeugt, dass die Schwarzhaarige keine unmittelbare Gefahr darstellte. Zwar ging sie davon aus, dass es sich bei ihr tatsächlich um die Dresdner Staatsanwältin handelte. Aber es war unwahrscheinlich – die Begegnung im Dampfbad hatte es bewiesen –, dass sie die dunkel haarige Kellnerin eines Dresdner Hotels vier Jahre später mit einem blonden Gast des Windwood in Binz in Verbindung bringen würde.
Juli hob ihr Glas und nippte an dem Whisky, der intensiv nach Rauch und Torf schmeckte. Im Spiegel hinter dem Tresen prüfte sie ihr Aussehen. Sie trug einen anthrazitfarbenen Hosenanzug mit einem taillierten Blazer, die Perücke vom Nachmittag und breite silberne Ohrringe. Gegenüber dem Barkeeper hatte sie beiläufig erwähnt, dass ihr Ehemann die nächste Stunde mit seiner Geliebten namens Bundesliga verbringe und sie das Zimmer deshalb verlassen
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