Der Pakt
reagierte, wie es jeder Oberbefehlshaber tun würde –
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indem er die Gespräche mit denjenigen abbrach, die er für die Urheber solcher Gräueltaten hielt.«
»Sie sagen, dieses Dossier wurde erstellt, um mich zu täuschen?«, sagte Roosevelt. »Und dann von einem meiner Leute Hitler übergeben?«
Stalin zündete sich in aller Ruhe eine Zigarette an. »Richtig.«
»Aber ich kann mich nicht erinnern, je eine solche Akte gesehen zu haben«, sagte Roosevelt. »Harry?«
»Ich habe sie gesehen, Mr. President«, sagte Hopkins. »Ich habe befunden, dass es unter den gegebenen Umständen nicht angezeigt wäre, sie Ihnen vorzulegen. Schon gar nicht, ehe wir dazu gekommen sind, sie gründlich zu evaluieren.«
»Dann verstehe ich es immer noch nicht«, sagte Roosevelt.
»Wer hat Hitler dieses Dossier gegeben?«
»Ihr jüdischer Doktor der Philosophie.«
Mich überlief ein eisiger Schauer, als Stalin mich mit seinen gelben Despotenaugen drohend anstarrte.
»Großer Gott, Professor, stimmt das? Haben Sie Hitler dieses Dossier gegeben?«
Ich zögerte. Mir war klar, was Stalin vorhatte. Er konnte Hitlers erboste Abreise kaum erklären, ohne die Beketowka-Akte aufs Tapet zu bringen. Das aber barg die Gefahr, dass Roosevelt die Schuld am Platzen der Gespräche den Sowjets geben würde.
Das musste ich ihm lassen: Die Akte zur Fälschung zu erklären, war der beste Weg, allen Peinlichkeiten zu entgehen.
Und indem er alles auf mich schob, gab er den schwarzen Peter postwendend an die Amerikaner zurück.
Da mir klar war, dass Roosevelt es mir nie verzeihen würde, wenn ich Stalins Behauptung, die Akte sei eine Fälschung, in Zweifel zog, beschloss ich, an die Fairness des Präsidenten zu appellieren.
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»Ich habe sie ihm nicht absichtlich gegeben, Mr. President.
Als ich auf dem Konferenztisch mit Agent Pawlikowski rang, gerieten die Akten durcheinander. Und als Mr. Hopkins mir dann befahl, Hitler unsere Positionspapiere auszuhändigen, habe ich ihm versehentlich die Beketowka-Akte gegeben.«
»Das stimmt, Mr. President«, sagte Hopkins. »Es war ein Versehen. Und teilweise meine Schuld. Ich hielt die Positionspapiere in der Hand, als ich Willard sagte, er solle sie übergeben. Ich habe gar nicht gemerkt, dass ich sie hatte. Ich stand wohl selbst ein bisschen unter Schock. In der Situation hätte das jedem passieren können.«
»Vielleicht«, sagte Stalin.
»Ich finde, wir sollten nicht vergessen«, fuhr Hopkins fort,
»dass ohne Professor Mayers geistesgegenwärtiges Handeln der Führer jetzt wahrscheinlich tot wäre und unsere Geiseln in Berlin, Mr. Hull und Mr. Mikojan, wohl bereits ihr Leben hätten lassen müssen.«
Stalin zuckte die Achseln. »Ich für mein Teil muss sagen, mir wäre es lieber, Hitler hätte tot auf dem Fußboden des Konferenzraums gelegen, als dass er diese Friedensgespräche abbricht. Für Mr. Hull kann ich nicht sprechen, aber ich weiß, dass Mikojan sich gern an die Wand hätte stellen lassen, wenn wir dafür so ein Ungeheuer wie Hitler losgeworden wären.«
Stalin schnaubte und wischte sich mit einem leberfleckigen Handrücken über den Schnurrbart. Mit einer abfälligen Handbewegung in meine Richtung sagte er: »Mir scheint, dank Ihres Dolmetschers haben wir jetzt den schlimmstmöglichen Ausgang.«
»Bei allem Respekt, Mr. President«, sagte ich, »aber Marschall Stalin ist da vielleicht ein bisschen unfair.«
Es wurmte mich immer noch, dass Stalin mich Roosevelts
»jüdischen Doktor« genannt hatte. Ich hatte schon schwer genug daran zu tragen, dass ich dem vielleicht übelsten Menschen in 528
der gesamten Geschichte das Leben gerettet hatte. Da sah ich wirklich nicht ein, warum ich auch noch die Schuld am Scheitern der Friedensgespräche auf mich nehmen sollte.
»Schon gut, Professor, schon gut«, sagte Roosevelt und bedeutete mir mit erhobener Hand, ruhig zu bleiben.
»Sollen wir vielleicht Rücksicht darauf nehmen, was diese Papageien von Dolmetschern fair oder unfair finden?«, schnaubte Stalin. »Vielleicht ist Ihr Mann hier ja einer von diesen amerikanischen Kapitalisten, die die Armeen seines Landes in Europa sehen wollen, weil sie sich einbilden, die Sowjetunion wolle sich ein eigenes Imperium errichten. So wie es die Briten in Indien getan haben. Ich habe gehört, seine Mutter ist eine der reichsten Frauen Amerikas. Vielleicht hasst er ja die Kommunisten mehr als die Nazis. Vielleicht hat er ja deshalb Hitler diese Fälschung übergeben.«
Ich wünschte, ich
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