Der Pakt
hätte meine ehemalige Mitgliedschaft in der Kommunistischen Partei Österreichs erwähnen können, aber Roosevelt versuchte bereits, das Thema zu wechseln.
»Ich glaube, Indien ist allerdings reif für eine Revolution, Marschall Stalin«, sagte er. »Sie nicht? Von Grund auf.«
Stalin, der jetzt merkte, dass er mit seinen Anschuldigungen gegen mich vielleicht doch etwas zu weit gegangen war, zuckte die Achseln. »Ich bin mir da nicht sicher«, sagte er. »Das indische Kastensystem macht alles so kompliziert. Ich bezweifle, dass eine Revolution nach strikt bolschewistischem Modell da ein realistisches Unterfangen wäre.« Stalin lächelte schmallippig. »Aber ich sehe, Sie sind müde, Herr Präsident. Ich bin nur gekommen, um Ihnen zu sagen, dass wir uns, wenn es Ihnen recht ist, um sechzehn Uhr wieder im Hauptkonferenzraum versammeln, diesmal mit Herrn Churchill.
Ich werde Sie jetzt also verlassen, damit Sie ein wenig ruhen und Kraft für das sammeln können, was wir zu besprechen haben: eine zweite Front in Europa.«
529
Und damit verschwand Stalin und ließ uns betroffen zurück.
Roosevelt fand als Erster die Sprache wieder. »Professor Mayer? Mir scheint, Onkel Joe mag Sie nicht besonders.«
»Nein, Sir. Das glaube ich auch. Und ich schätze mich glücklich, Amerikaner zu sein und nicht Russe. Sonst würde ich jetzt wohl an die Wand gestellt.«
Roosevelt nickte müde. »Unter den gegebenen Umständen«, sagte er, »ist es wohl das Beste, Sie fahren nach Camp Amirabad zurück. Schließlich benötigen wir Ihre Dolmetscherdienste nicht mehr, jetzt, wo der Führer weg ist.
Und es hat keinen Sinn, Stalin durch Ihre Anwesenheit hier in der russischen Botschaft noch mehr zu verstimmen.«
»Da haben Sie sicher Recht, Sir.« Ich ging zur Tür des Wohnzimmers. Die Hand schon auf der Klinke, drehte ich mich noch einmal um und sagte: »Nur der Vollständigkeit halber, Mr. President, als Spezialist für deutsche Nachrichtendienste bin nach reiflicher Erwägung zu dem Urteil gekommen, dass die Beketowka-Akte hundertprozentig echt und zutreffend ist. Ich sage das als jemand, der Mitglied der Kommunistischen Partei Österreichs war, als er noch um einiges jünger und naiver war als jetzt. Und was Stalin auch immer sagen mag, es ändert nichts an den Tatsachen.«
Im Ausgang der russischen Botschaft blieb ich stehen und atmete tief und zittrig die warme Nachmittagsluft ein. Ich schloss die Augen und dachte nach: Über die unglaublichen Geschehnisse dieses Tages und meine unbeabsichtigte Rolle in der Geschichte des Hitler-Friedens. Diese Geschichte würde wohl nie erzählt werden, denn sie war eine Geschichte der Lüge, Verstellung und Heuchelei, und sie enthüllte die tiefste Wahrheit der Geschichte schlechthin: Dass die Wahrheit selbst eine Illusion ist. Ich war jetzt Teil dieser großen Lüge und würde es immer sein.
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Ich öffnete die Augen. Vor mir stand ein kleiner, dicker Mann, der die Uniform eines Commodore der Royal Air Force trug und eine lange Romeo y Julieta rauchte.
»Sir«, sagte der kleine, dicke Commodore, »Sie stehen mir im Weg.«
»Mr. Churchill, ich stehe anscheinend allen im Weg. Vor allem mir selbst.«
Churchill nahm die Zigarre aus dem Mund und nickte. »Dieses Gefühl kenne ich. Es ist die Antithese zum Lebendigsein, nicht wahr?«
»Ich habe das Gefühl, aufgetrennt zu werden, Sir. Da ist ein Hund, der sich das Ende meines Garns geschnappt hat, und bald wird nichts mehr von mir übrig sein.«
»Oh, diesen Hund kenne ich«, sagte er. Mit Interesse in den Augen trat Churchill einen Schritt näher. »Ich habe diesem Hund einen Namen gegeben. Ich nenne ihn den schwarzen Hund. Man muss ihn vertreiben wie ein echtes Tier.« Der Premierminister sah auf die Uhr und zeigte dann mit dem Spazierstock ins Botschaftsgelände. »Gehen Sie ein wenig mit mir spazieren, in diesen persischen Gärten. Wir haben vielleicht nicht fünf Meilen wandernd irren Wandelgang, wie Mr. Coleridge sagt, aber es dürfte wohl reichen.«
»Es wäre mir eine Ehre, Sir.«
»Mir ist, als müsste ich Sie kennen. Ich weiß, wir sind uns irgendwo schon einmal begegnet, aber außer dass Sie Amerikaner sind und vielleicht irgendwie in der Diplomatie tätig sind, weil Sie sonst wohl Uniform trügen, komme ich einfach nicht drauf, wer Sie sind.«
»Willard Mayer, Sir. Ich bin der Deutschdolmetscher des Präsidenten. Jedenfalls war ich es. Und wir haben uns letzten Dienstag auf dem Flur des Mena House
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