Der Paladin
eine Menge lernen, Mädchen. Wir wollen doch mal sehen, wie du mit einem Reiter zurechtkommst.«
Auch an diesem Abend wurden Lappen aufgewärmt.
»Willst du aufhören?« fragte er sie.
Sie wandte ihm ein dunkles und vorwurfsvolles Auge zu, mit dem Gesicht auf der Matte, während er ihr Kompressen auf die Kniekehlen legte. »Nein«, sagte sie.
Und er: »Es kann nur noch schlimmer werden.«
Der Pfeil flog davon, der Hirsch schreckte beim Geräusch von Shokas Bogensehne hoch, und der Pfeil drang dem Hirsch mitten ins Herz – sie jagten nicht zum Vergnügen, sondern um Fleisch für den Winter zu bekommen, und sie gingen kein Risiko ein. Der Hirsch sprang vor, als er getroffen wurde, rannte ein paar Schritte weit und brach in einem verschneiten Gebüsch zusammen.
Shoka schnitt ihm obendrein noch die Kehle durch, und Taizu schlang ihm ein Seil aus Rohleder um die Füße und warf das andere Ende über einen Ast.
Wildbret für den ganzen Winter. Leder, Horn und Knochen für ein schönes Paar Hosen und einen Messerknauf und was sich sonst noch an Winterabenden herstellen ließ.
»Ich habe noch nie Wildbret gegessen«, hatte Taizu ihm anvertraut.
In Wahrheit aß er meistens Wildschweine. Aber dieses Jahr waren zwei Mäuler zu stopfen, der Hirsch hatte sich angeboten, und zu zweit schafften sie es, ihre Beute heimzutragen.
Einen Großteil des Fleisches räucherten sie, machten Würste, beizten die Haut und hängten den Rest gefroren auf die Veranda.
Und an den Winterabenden, als draußen Schnee lag und Jiro gut versorgt im Stall stand, zeigte er ihr, wie man Pfeile herstellte und einen Bogen formte – Männerarbeit; doch damit kannte er sich eben aus, es vertrieb die Zeit, machte dem Mädchen Freude und sorgte für Unterhaltung.
Sie ließ seine Finger nicht aus den Augen; und er betrachtete den Glanz in ihren Augen und das winzige Lächeln, das sie ihm neuerdings gelegentlich schenkte.
Und nachts folgten ihr seine Gedanken. Von Zeit zu Zeit versuchte er sie ein wenig aufzulockern, durch ein Kompliment, ein kurzes Streicheln mit der Hand, während sie arbeitete.
Dann zuckte sie zusammen und sagte auf die eine oder andere Weise
nein
.
Und so verging der Winter: ein verschneiter Tag nach dem anderen, während sie in der gemütlichen Hütte blieben, es sei denn um Jiro Wasser zu bringen, ihn zu striegeln, an die frische Luft zu lassen und dafür zu sorgen, daß er es in seinem Stall bei Nacht behaglich hatte.
Er zeigte ihr, wie man eine Bogensehne drehte und befestigte. Er erklärte ihr, warum manche Pfeile bestimmte Federn und Spitzen hatten, wie man die Federn auswählte und wie man sie befestigte. Er zeigte ihr – auf dem mit Strohmatten gepolsterten Erdboden der Hütte – ein paar der elementaren Fertigkeiten, die Meister Yenan ihm beigebracht hatte: wie man einen Schlag mit den Finger abwehrte, wie man mit einem Stück Holz, der bloßen Hand oder dem Fuß ein Glied lähmen und jeden beliebigen Angreifer abschrecken konnte.
Dinge, die die Nonnen ihr beigebracht hätten... Er erinnerte sie daran; und sie sagte:
»Ich wäre nicht lange genug dort geblieben.«
»Wo wärst du hingegangen?« wollte er wissen.
»Ich weiß es nicht«, sagte sie, der Frage ausweichend. Sie mied seinen Blick, und so machte er sich seinen eigenen Reim darauf; wahrscheinlich wäre sie wieder auf die Straße gegangen und ein Opfer der Stärkeren und Schnelleren geworden, und diese Vorstellung behagte ihm nicht.
Er erzählte ihr Geschichten und sie ihm, über den Kaiserhof und über Hua. Sie verblüfften sich gegenseitig; zumindest machte sie große Augen, wenn er vom Hof und der Tafel des Kaisers erzählte, wo die Gerichte mit Pfauenfedern dekoriert wurden und geröstete Schweine sogar Zuckerburgen auf dem Rükken trugen, mit Flügeln aus Schwanenfedern und echten Rubinen als Augen.
»Wir hatten gut zu essen«, erinnerte sie sich, als sie von Hua erzählte, und ihren Worten entnahm er, daß sie einen blühenden Hof und eine große Familie gehabt hatte – meine Brüder, sagte sie manchmal und nannte ab und zu Namen, wie Jei und Mani. Sie erzählte von einem zahmen Reh, das die Tochter des Fürsten Kaijeng hielt, bis Kaijengs Jäger es versehentlich töteten, und dann (alle Geschichten von Taizu gingen traurig aus) berichtete sie, daß die Fürstin und ihr Mann tot seien, daß die Fürstin sich umgebracht habe und daß ihr Mann beim Kampf um die Burg gefallen sei. Nie vergoß sie Tränen. Sie wurde nur melancholisch; und er
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