Der Paladin
dachte an Meiyas Tod und wurde seinerseits melancholisch.
Aber er erzählte ihr nie von Meiya. Sie war ein Kind. Er war kein Kind mehr und brachte es nicht über sich, ihr diese verworrenen und schmerzhaften Erinnerungen anzuvertrauen, nicht einmal dann, wenn er ein wenig betrunken war. Statt dessen brütete er vor sich hin, und dann herrschte eine Weile lastendes Schweigen.
Eines Nachts, während der Wind um die Hütte heulte, war sie selbst ein wenig betrunken. Sie bekam gute Laune und zeigte ihm ein Spiel, das sie in Hua gespielt hatte, wenn der Schnee kam, aber er kannte das Spiel bereits, denn es wurde bei Hofe gespielt. Also hatten sie immerhin eine Gemeinsamkeit.
Während sie mit ihren provisorischen Spielmarken spielten, erinnerte er sich an eine Welt, in der er mit Marken aus Elfenbein und Jade um hohe Einsätze gespielt hatte, während sie vielleicht an ihr Zuhause dachte, an Spielmarken aus Stein und an eine Schar Brüder und an ihre Eltern. Sie jedoch spielten darum, wer den Eimer tragen und wer das Frühstück zubereiten mußte.
Er schlug ihr einen anderen Einsatz vor, doch sie funkelte ihn an, und er versicherte ihr, er habe nur gescherzt.
»Also gut«, sagte er, »wenn du verlierst, dann wärmst du mich heut nacht. Mehr nicht. Ich werde dich nicht anrühren.«
»Das tue ich nicht«, sagte sie entschlossen. »Womöglich wollt Ihr mich hereinlegen.«
»Wobei? Außerdem legt ein Ehrenmann niemanden herein.«
»Hm«, machte sie, die Arme um die Knie geschlungen.
»Was heißt das?«
»Ich weiß, was Ihr wollt. Und Ihr werdet es nicht bekommen. Ich lasse nicht zu, daß Ihr Euer Wort brecht. Punktum.«
»Du schadest dir nur selbst«, sagte er. »Die Nacht ist kalt.«
Sie schüttelte den Kopf. »Ihr wollt spielen?« fragte sie. »Der morgige Abwasch dagegen, daß ich das Pferd striegele.«
»Das tust du sowieso. Das ist kein Einsatz.«
»Dann spielen wir darum, wer als nächster das Feuerholz hereinholt.«
»Einverstanden«, sagte er.
Und so spielten sie in jener kältesten Nacht des Jahres, während der Schnee fiel und sie noch ein wenig tranken.
»Komm schon!« sagte er, als sie zu ihrer Matte taumelte und er schon auf seiner saß, mehr als nur ein bißchen betrunken. Er klopfte auf den Platz an seiner Seite. »Es ist bitterkalt. Es ist sinnlos, sich das Leben schwer zu machen. Ich verspreche dir, daß es mir nur um die Bequemlichkeit geht. Ich werde nichts tun, was du nicht willst.«
Sie war noch nüchtern genug, um
nein
zu sagen, ging allein zu ihrer Matte und vergrub sich vollständig bekleidet unter einem Wust von Decken.
7
Der Eiszapfen in der Ecke der Veranda wuchs auf eindrucksvolle Größe an, fiel eines Nachmittags schließlich mit einem vernehmlichen Krachen herunter und blieb als einsamer Dorn inmitten eines Haufens von Splittern in der sich erwärmenden Sonne liegen.
Alles war voller Matsch, doch der Wind hatte gedreht und schmolz den Schnee mit erstaunlicher Geschwindigkeit, und Jiro schlug aus wie ein junges Füllen, richtete den Schweif auf und hüpfte ausgelassen auf der Weide herum.
Er sehnt sich nach einer Stute, dachte Shoka wehmütig angesichts des Pferdes und des Mädchens, das ihn versorgte und ihre Spielschuld einlöste, indem sie den Eimer den aufgeweichten Weg entlangtrug und Jiro den Dreck abbürstete, obwohl er sich bestimmt gleich wieder darin wälzen würde.
Ein harter Winter, ein noch härterer Frühling. Er setzte sich auf die Veranda und schabte sich die Stoppeln vom Kinn, tauchte die Klinge in einen Tiegel mit warmem Wasser und sann mürrisch über das Tauwetter nach, das den ganzen Hang in einen Liebestaumel stürzen würde, wenn die Knospen aufbrachen und die Natur Amok lief, um sich fortzupflanzen und auf Dauer zu erhalten.
Shoka seufzte, blickte unter einer zottigen Haarsträhne hervor zu der schlanken, weitentfernten Gestalt hinüber und fand, daß er sich die beste Gelegenheit hatte entgehen lassen, als sie im Winter miteinander getrunken hatten.
Tut mir leid, Mädchen, aber ich habe den Kopf verloren.
Er stellte sich vor, wie sich ihre Einstellung am folgenden Morgen grundlegend geändert hätte, wie sie alle ihre dummen Gedanken aufgegeben und sich nur noch ihm gewidmet hätte.
Zack!
fiel ein weiterer Eiszapfen herunter.
Im Grunde jedoch wußte er nicht, wie sie reagieren würde, wenn er sie anrührte, und jetzt, bei Tageslicht betrachtet, erschien es ihm nicht sonderlich wahrscheinlich, daß sie ihre Einstellung schlagartig ändern würde.
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