Der Palast
zu ihrem Gemahl und ihrer Tochter.
Doch tief in ihrem Innern brannte ein Feuer der Eifersucht, geschürt von der Wut und dem Neid, dass Reiko so viel besaß und sie, die Fürstin, so wenig. Und es erfüllte sie mit Bitterkeit und Zorn, dass Reiko ihre Freundschaft nicht so hoch schätzte wie sie selbst. Gleichzeitig klammerte Fürstin Yanagisawa sich an die vage Hoffnung, ein kleiner Teil von Reikos Glück würde wie durch ein Wunder auf sie übergehen, wenn die Beziehung nur eng genug wäre.
»Der Drachenkönig hat sich seltsam verhalten«, sagte Reiko nun fröstelnd. Sie erzählte Fürstin Yanagisawa, wie der Drachenkönig um sie herumgeschlichen war, wie er sie angesehen und in Rätseln gesprochen hatte. »Er hat mir Angst eingejagt, weil ich ihn nicht verstanden habe und weil er und seine Männer unser Gefolge getötet haben. Und was den Grund für unsere Entführung betrifft … anscheinend geht es um eine Frau, die er einst gekannt hat. Offenbar hieß sie Anemone und ähnelte mir.«
Als Reiko über das Festmahl, die Wutausbrüche des rätselhaften Mannes und seine erotisch-poetischen Andeutungen sprach, zog sie ihre Hände zurück und krallte sie ineinander. Ihre Kehle war wie zugeschnürt. »Er wurde immer aufdringlicher«, sagte sie mit gesenktem Blick.
Reikos Stimme und ihre Miene drückten die Angst, den Abscheu und die Wut einer Frau aus, deren Tugend bedroht wurde – eine Tugend, die die Gesellschaft von Frauen wie ihr verlangte. Fürstin Yanagisawa zeigte sich empört über das Verhalten des Drachenkönigs. Sie hätte diesen rätselhaften Mann ohne zu zögern getötet, weil er ihre Freundin belästigt hatte, denn selbst hier, in diesem Gefängnis, an diesem gottverlassenen Ort, war Reiko etwas Besonderes. Sie hatte sogar die Aufmerksamkeit des Drachenkönigs auf sich gelenkt – und dieser bedankte sich nun durch eine bessere Behandlung aller Gefangenen.
Für Fürstin Yanagisawa würde dieser geheimnisvolle Mann sich niemals interessieren. Sie hatte er nicht zu sich gerufen, obwohl sie einen höheren Rang als Reiko bekleidete. Es war nicht so, dass Fürstin Yanagisawa sich diese Aufmerksamkeit gewünscht hätte, doch bei diesem Gedanken stieg wieder Eifersucht in ihr auf und nagte an ihrem Stolz.
Würde sie niemals vergessen dürfen, dass die Männer Reiko begehrten und nicht sie? Mussten die Umstände sie immer wieder daran erinnern, dass Reiko und nicht sie jene Eigenschaften besaß, die eine Frau brauchte, um die Liebe eines Mannes zu erringen?
Selbst in dieser Situation, in der ihr aller Leben bedroht wurde, brodelte die Eifersucht auf Reiko in Fürstin Yanagisawas Innerem. Sie senkte den Kopf, presste die Hände auf die Schläfen und spürte das Pochen des Blutes unter der Haut.
»Das hätte ich nicht erwartet«, murmelte sie.
»Ich auch nicht«, erwiderte Reiko, die diese Worte als Antwort auf ihre Schilderungen auffasste und nicht wusste, welche Richtung Fürstin Yanagisawas Gedanken nahmen. »Der Drachenkönig stand kurz davor, mich zu vergewaltigen«, fuhr Reiko mit leiser, schwankender Stimme fort. »Aber was wird beim nächsten Mal geschehen? Wenn uns vorher niemand rettet – was dann?«
Reiko schritt unruhig durch das Gefängnis und rang die Hände. »Er wird mich nehmen, während seine Männer zusehen. Falls ich Widerstand leiste, werden sie mich töten – und Euch, Midori und Fürstin Keisho-in bestrafen.« Reikos Augen funkelten vor Wut. »Ich hasse es, so hilflos zu sein!«
Mitleid verdrängte Fürstin Yanagisawas Eifersucht und Neid. Sie stand auf, trat an Reikos Seite und legte tröstend eine Hand auf ihre Schulter. »Wir müssen irgendwie hier herauskommen.«
Reiko wirbelte herum und blickte die Fürstin wütend an. »Wie denn?«, fragte sie so scharf, dass Fürstin Yanagisawa erschrocken die Augen aufriss. »Sollen wir die Tür aufbrechen und die Wachen mit bloßen Händen überwältigen?« In einer verzweifelten Geste warf Reiko die Arme in die Luft. »Sollen wir über den See zurück zum Palast zu Edo laufen, ehe die Männer des Drachenkönigs uns erwischen?«
Fürstin Yanagisawa musterte Reiko bedrückt, als sie deren sarkastische Worte vernahm. »Ich weiß nicht, was ich vorschlagen soll«, murmelte sie. »Ich wünschte, ich hätte eine Idee.« Es kränkte sie, dass ihre Freundin, die sie so sehr liebte, in diesem Ton mit ihr sprach. »Es tut mir Leid, dass ich Euch erzürnt habe. Bitte verzeiht.«
»Ich muss mich entschuldigen«, sagte Reiko und fügte mit
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