Der Palast
erhobener Stimme hinzu: »Aber in solch einer verfahrenen Lage …«
Sie sah, wie Midori sich bewegte, und Keisho-in murmelte im Schlaf. Reiko senkte die Stimme und fügte leise hinzu: »Ich hätte meine Wut nicht an Euch auslassen dürfen. Vergebt mir.«
Die Frauen reichten einander die Hände.
»Verzweiflung ist keine Entschuldigung für Grobheit«, fuhr Reiko fort. »Wir dürfen uns nicht streiten.« Sie seufzte, rieb sich über die Stirn, als hätte sie Kopfschmerzen, und ging wieder unruhig auf und ab. »Aber wie soll ich mich vor dem Drachenkönig schützen? Er hat Schwerter, ich aber habe keine Waffen. Er hat ein Heer, und wir sind vier einsame Frauen. Die ganze Kraft liegt auf seiner Seite – auf meiner nur Schwäche.«
»Aber Ihr seid sehr klug«, murmelte Fürstin Yanagisawa. Sie wusste, dass Reiko dem sōsakan-sama häufig bei dessen Arbeit als Ermittler half, womit sie seine Zuneigung ebenso gewann wie mit ihrer Schönheit, ihrem Charme und dem entzückenden Sohn, den sie ihm geboren hatte. »Ihr schafft es bestimmt, diesen Drachenkönig zu überlisten.«
Reiko blieb stehen und kniff nachdenklich die Augen zusammen. Als die goldenen Strahlen der untergehenden Sonne durch die Löcher und Ritzen des Daches fielen und ihre Züge erhellten, bat sie Fürstin Yanagisawa, ihr auf jene Seite des Gefängnisses zu folgen, die am weitesten von der Tür entfernt war.
»Der Drachenkönig hat einen schwachen Punkt«, sagte Reiko in verschwörerischem, leisem Tonfall, damit die Wachen sie nicht verstehen konnten. »Das Verlangen nach einer Frau. Es kann einen Mann verletzbar und leichtsinnig machen. Vielleicht kann ich diese Schwäche als Waffe gegen ihn benutzen.« Angeregt durch diese Hoffnung, fuhr Reiko fort: »Vielleicht kann ich ihn überlisten, damit er uns freilässt.«
Erfüllt von dem Glauben an Reikos Fähigkeiten, faltete Fürstin Yanagisawa die Hände unterm Kinn. »Wenn jemand es schaffen kann, dann Ihr«, flüsterte sie. Zum ersten Mal seit dem gescheiterten Fluchtversuch gab sie sich dem Glauben hin, bald nach Hause zurückzukehren. Sie würde ihre Tochter und ihren Gemahl Wiedersehen. Reiko würde sie alle von diesem Albtraum erlösen.
»Doch bevor ich den Drachenkönig überlisten kann, muss ich sein Vertrauen gewinnen.« Reiko blickte in ihr Inneres, als liefen die verschiedenen Szenen vor ihrem geistigen Auge ab. »Und um sein Vertrauen zu erringen, muss ich ihm vorgaukeln, dass ich ihn begehre. Ich muss ihn verführen, damit er seine Wachsamkeit aufgibt.« Die kurzfristige Erregung fiel von Reiko ab. »Ich müsste so tun, als würden mir seine Annäherungsversuche gefallen, und ich darf ihm nichts verwehren, bis ich einen Weg finde, wie wir fliehen können.«
Der Gedanke, ihre Keuschheit als Preis einsetzen zu müssen, damit der Plan gelang, bestürzte sie.
Fürstin Yanagisawa spürte, dass Reiko der Mut zu verlassen drohte, und sagte hastig: »Es wird Euch gewiss gelingen, diesen Mann hinzuhalten, sodass wir fliehen können, ehe Ihr … bevor er Euch …« Fürstin Yanagisawa, die es nicht gewohnt war, über Sex zu sprechen, begnügte sich mit der Andeutung der schrecklichen Schändung, die ihre Freundin riskierte.
»Wie soll ich einen Verrückten kontrollieren?«, flüsterte Reiko. »Und wenn der Plan misslingt? Dann muss ich mich ihm hingeben, ohne damit etwas erreicht zu haben.« Sie drehte sich zur Wand um, damit Fürstin Yanagisawa ihr Tränen nicht sah.
Zum ersten Mal in ihrem Leben war Fürstin Yanagisawa froh, eine hässliche Frau zu sein, weil ihr dadurch die Zudringlichkeiten des Drachenkönigs erspart blieben.
Reiko drehte sich zögernd wieder um, das tränennasse Gesicht von Schmerz und Ängsten gezeichnet. »Aber was habe ich sonst für Möglichkeiten?«, sagte sie leise. »Ich kann nur versuchen, diesen Mann zu überlisten. Er wird mich sowieso nehmen. Das zeigen mir allein schon seine Blicke und Berührungen …«
Sie ließ verzweifelt die Schultern sinken. Dann reckte sie sich, als würde sie Angst und Verzweiflung abwerfen. »Also kann ich ebenso gut versuchen, die Situation zu meinem Vorteil zu nutzen, anstatt mich kampflos zu ergeben.« Jetzt spiegelten sich in ihrer Miene der Mut und die Entschlossenheit eines Soldaten, der in die Schlacht zieht. Ihr Blick wanderte über Fürstin Yanagisawa, Midori und Keisho-in. »Ich werde alles tun, was von mir verlangt wird, und alles ertragen, um unser Leben zu retten.«
»Ihr werdet wissen, was Ihr tun müsst, wenn der
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