Der Palast
getan haben, von denen ich nichts weiß.« Yuka brach wieder in Tränen aus. »Ihr Tod wird eine Bestrafung sein, die sie verdient hatte.«
»Das ist noch nicht erwiesen«, tröstete Sano die schluchzende Frau und stand auf. »Ich glaube, Eure Tochter hat sich mit jemandem eingelassen, der sie gezwungen hat, Dinge zu tun, die sie nicht hätte tun sollen.«
Trotz der Beweise, die darauf hindeuteten, dass Mariko eine Komplizin des Entführers war, glaubte Sano, dass sie zugleich ein unschuldiges Opfer war und nichts von den verwerflichen Plänen des Drachenkönigs gewusst hatte. Vielleicht war sie ihm sogar hörig gewesen.
Sano war jedenfalls zuversichtlich, dass er dem Drachenkönig aufgrund von Marikos traurigem Schicksal einen Schritt näher gekommen war. Jetzt hatte er zusätzliche Gründe, die Ermittlungen fortzusetzen, egal, welche Gefahren dies für ihn barg.
»Ich verspreche Euch, Marikos Mörder seiner gerechten Strafe zu überführen und den Mord an ihr zu rächen«, gelobte Sano der weinenden Yuka.
22.
I
ch kann Midori und Fürstin Keisho-in nicht alles erzählen, was der Drachenkönig getan hat, weil ich ihnen keine Angst einflößen will«, sagte Reiko zu Fürstin Yanagisawa. »Euch werde ich es sagen, wenn Ihr stark genug seid, schlechte Nachrichten zu verkraften.«
»Ja, das bin ich«, erwiderte Fürstin Yanagisawa eifrig. Sie freute sich, dass Reiko sich ihr anvertraute, was sie selten genug tat.
Es war früh am Abend; kühle Luft drang ins Gefängnis. In dem melancholischen, ockergelben Licht des Sonnenuntergangs saßen Reiko und Fürstin Yanagisawa in einer Ecke und sprachen leise miteinander, während Midori und Fürstin Keisho-in unter den Decken auf den Matten schliefen. Murmelnde Stimmen und schlurfende Schritte der Wachen, die offenbar im ganzen Turm verteilt waren, drangen zu den Frauen. Draußen zwitscherten Vögel und flatterten in den Bäumen. Zikaden und Grillen begannen ihren nächtlichen Klagegesang. Die Wellen des Sees schlugen im auffrischenden Wind klatschend gegen den Turm.
»Ich habe den Drachenkönig gebeten, uns gehen zu lassen«, sagte Reiko. »Er hat abgelehnt. Er wollte mir noch nicht einmal sagen, wo wir uns befinden. Als ich ihn gefragt habe, warum er uns gefangen hält, hat er gesagt, er wolle sich an jemandem rächen. Er hat mir weder den Namen dieser Person noch den Grund für seinen Wunsch nach Rache verraten. Als ich ihn fragte, ob er uns töten wird, hat er gesagt, er hoffe nicht.«
»Was hat er damit gemeint?«, fragte Fürstin Yanagisawa.
Reiko lachte gequält. »Ich nehme an, es hängt von seiner Stimmung ab, ob er uns leben lässt oder ermorden wird.«
Fürstin Yanagisawa sah die Hoffnung auf ihr Überleben schwinden, doch die Freundschaft zu Reiko linderte ihren Kummer. Sie umfasste Reikos Hände. »Wenn wir sterben müssen, sterben wir wenigstens gemeinsam.«
Reiko fuhr zusammen. Fürstin Yanagisawa spürte, dass ihre Freundin noch immer Informationen zurückhielt. »Gibt es noch etwas, das Euch Sorgen macht?«, fragte Fürstin Yanagisawa, und das nicht nur, weil sie wissen wollte, was genau sich zwischen Reiko und dem Mann, der sich Drachenkönig nannte, abgespielt hatte.
Seitdem die Fürstin Reiko vor fast vier Jahren zum ersten Mal gesehen hatte, wollte sie so viel wie möglich über die Gemahlin des sōsakan-sama erfahren, denn Reiko besaß alles, was der Fürstin fehlte: Sie war schön, während Fürstin Yanagisawa hässlich war. Sie hatte einen Gemahl, der sie verehrte, während Fürstin Yanagisawa unter ihrer unerwiderten Liebe zum Kammerherrn litt, der kaum zur Kenntnis nahm, dass sie existierte. Reiko hatte einen entzückenden Sohn, während die Tochter der Fürstin geistig zurückgeblieben war. Der Neid hatte Fürstin Yanagisawas Interesse an Reiko bis zur Besessenheit gesteigert.
Die Fürstin hatte ihren Bediensteten befohlen, Reikos Hausmädchen und Dienerinnen auszuhorchen, damit sie alles erfuhr, was Reiko tat. Wenn Reiko das Haus verließ, war Fürstin Yanagisawa ihr aus der Ferne gefolgt und hatte ihr hinterherspioniert. Erst im vergangenen Winter war die Bekanntschaft zwischen ihr und Reiko enger geworden, und dies hatte willkommene Gelegenheiten für die Fürstin geschaffen, mehr über Reiko zu erfahren. Bei allen Besuchen Fürstin Yanagisawas schlich sie durch Sanos Villa und stöberte in den Sachen Reikos herum. Sie prägte sich Dinge ein, die Reiko sagte. Und sie liebte Reiko mit einer Leidenschaft, die fast so stark war wie die
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