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Der Palast

Der Palast

Titel: Der Palast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rowland
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suchen.«
    Zu Sanos Enttäuschung schien es so, als wäre Höchste Weisheit weder der Drachenkönig noch die letzte Hürde auf der Suche nach Reiko. »Wer ist dieser Mann?«, fragte Sano.
    »Ich kenne ihn nicht«, stieß Höchste Weisheit grimmig hervor.
    Sano krallte seine Finger in den Umhang des Priesters. »Sagt es mir, oder ich verbreite das Gerücht, dass Ihr die Schwarze Lotosblüte verraten habt!«
    Obwohl Höchste Weisheit zu Tode erschrak, rief er: »Ich sage die Wahrheit! Ich kenne seinen Namen nicht.«
    Sano stieß den verbrecherischen Priester zu Boden, verschränkte die Arme vor der Brust und wartete. In dem Versuch, den sōsakan-sama milde zu stimmen, sagte der Priester: »Vor drei Jahren trat er der Schwarzen Lotosblüte bei. Im vergangenen Winter sagte er eines Tages, er brauche ein ruhiges, gehorsames Mädchen, das für ihn arbeitet. Ich stellte ihm Mariko vor. Er besorgte ihr eine Stelle als Dienstmädchen bei der Mutter des Shōgun. Sie sollte herausfinden, wann Fürstin Keisho-in den Palast verließ, wohin sie ging und über welche Straßen sie reiste. Mariko sollte es mir entweder sagen oder eine Nachricht schicken, sodass ich dem Mann die Nachricht übergeben konnte, sobald er in den Tempel kam.«
    Sano vermutete, dass der Unbekannte der Drachenkönig war. Er musste auf eine günstige Gelegenheit gewartet haben, um Fürstin Keisho-in zu entführen. Aber Sano fragte sich, wie dieser Unbekannte Mariko die Stellung im Palast beschafft hatte. Die Geschichte, die Höchste Weisheit erzählte, erweckte Sanos Skepsis.
    »Seit wann erweist Ihr, ein hoher Priester der Schwarzen Lotosblüte, einem Anhänger Gefälligkeiten, dessen Namen Ihr noch nicht einmal kennt?«, fragte Sano.
    »Seitdem er ein Förderer der Schwarzen Lotosblüte wurde«, gestand Höchste Weisheit. »Er hat uns eine großzügige Schenkung gemacht. Er hat mich bezahlt, weil ich ihm Mariko vermittelt und ihre Nachrichten an ihn weitergeleitet habe. Ich habe noch andere Dinge für ihn getan.«
    Mit Geld konnte man sich sogar von Priestern der Schwarzen Lotosblüte, die ihre Anhänger normalerweise tyrannisierten, Dienste erkaufen, wie Sano wusste. Dies half der Sekte, in einem feindlichen Klima zu überleben. Sano ging davon aus, dass Mariko den Mann in jener Nacht getroffen hatte und dass er ihr bei der Gelegenheit die Goldmünzen gab, die sie in ihrem Gemach versteckt hatte, um sie später dem Priester auszuhändigen.
    »An dem Tag, als Mariko die Nachricht brachte«, fuhr Höchste Weisheit fort, »kam der Mann nachts hierher. Er wollte ein paar gute Kämpfer von mir. Ich fragte ihn nach dem Grund, doch er antwortete mir nicht und steckte mir stattdessen Geld zu. Ich sammelte fünfundachtzig rōnin und ein paar kräftige Bauern um mich und schickte sie nach Shinagawa, wo sie den Mann am nächsten Tag treffen sollten.«
    Eine plötzliche Erkenntnis durchfuhr Sano. Shinagawa war von Edo aus die nächste Kontrollstation an der Tōkaidō. Der Mann, den Sano nun für den Drachenkönig hielt, hatte sich ein Heer geliehen, um Fürstin Keisho-ins Pilgerzug zu verfolgen, die Begleitsoldaten und Bediensteten zu töten und die Frauen zu entführen. Sanos erster Verdacht war also nicht ganz falsch gewesen: Die Schwarze Lotosblüte war in die Verbrechen verstrickt, aber nicht der eigentliche Urheber. Auch der Händler Naraya hatte zum Teil die Wahrheit gesagt, als er der Sekte die Verantwortung für die Entführung gegeben hatte. Doch Sanos Erregung wich augenblicklich einer schrecklichen Erkenntnis.
    Die Samurai der Schwarzen Lotosblüte waren verderbte, ruchlose Mörder, die beim geringsten Anlass töteten. Jetzt gewannen Sanos anfängliche Ängste an Bedeutung. Die Schwarze Lotosblüte hatte Reiko in ihrer Gewalt. Obwohl ihre Rolle bei der Vernichtung des Hohepriesters Anraku vertuscht worden war, könnte das Geheimnis durchgesickert sein. Wenn die Entführer der Schwarzen Lotosblüte erfuhren, was Reiko getan hatte, war sie verloren – egal, welche Pläne der Drachenkönig mit ihr gehabt haben mochte.
    »Wie kommt es, dass Ihr nicht wisst, wer der Mann ist?«, fragte Sano, dessen Angst seine Wut auf Höchste Weisheit anfachte. »Ich dachte, die Priester der Schwarzen Lotosblüte wären allwissend und könnten alles sehen. Was ist geschehen? Haben Eure Spione Euch im Stich gelassen?«
    Höchste Weisheit verzog den Mund. »Ich ließ den Mann jedes Mal verfolgen, wenn er den Tempel verließ. Doch meine Leute haben ihn immer wieder aus den Augen

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