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Der Palast

Der Palast

Titel: Der Palast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rowland
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verloren, so geschickt hat er sich davongeschlichen.«
    »Beschreibt, wie er aussah«, befahl Sano, begierig, die Verfolgung des Drachenkönigs aufzunehmen, der ihm fast so nahe schien, als könnte er ihn berühren, und der dennoch nicht zu fassen war.
    Der Priester musterte Sano und benutzte dessen Aussehen für einen Vergleich mit dem Unbekannten. »Er ist jünger und kräftiger als Ihr. Seine Augen sind runder und sein Mund spitzer.«
    Diese Beschreibung passte auf tausende anderer Männer. Sanos Hoffnung schwand. »Ist er ein Samurai oder ein gemeiner Bürger?«
    »Das weiß ich nicht. Er trägt stets eine Kapuze unter seinem Hut. Die Kapuze lässt nicht erkennen, ob er den rasierten Scheitel und den Haarknoten eines Samurai hat. Aber er trägt keine Schwerter.«
    Dann könnte er ein Bauer, Handwerker oder Händler sein – oder ein Samurai, der seinen Stand verbarg. »Ist Euch an seiner Stimme oder seinem Verhalten etwas aufgefallen?«, fragte Sano.
    »Seine Stimme war tiefer und gedämpfter als Eure. Er bewegte sich, als ob …« Der Priester suchte nach den richtigen Worten. »Als ob er Angst hätte, aber jeden von seinem Mut überzeugen wollte.«
    Dieser Hinweis könnte helfen, den Mann zu identifizieren – aber zuerst einmal musste Sano ihn finden. »Hat er etwas gesagt oder getan, das Euch Informationen über ihn geliefert hat?«
    Höchste Weisheit dachte angestrengt nach, wobei seine Augen eine noch dunklere Farbe annahmen. »Er gab mir Geld, damit ich ein Ritual für ihn vollziehe. Er wollte, dass ich mit jemandem spreche, der tot ist.«
    Sano wusste, dass einige Priester der Schwarzen Lotosblüte behaupteten, die Fähigkeit zu besitzen, mit Toten zu sprechen und Nachrichten von ihnen zu empfangen. »Wer war es?«, fragte Sano gespannt. Seine innere Stimme sagte ihm, dass er nun einen wichtigen Hinweis erhalten würde.
    »Eine Frau. Er sagte, ihr Name sei Anemone.«
    »Was geschah dann?«
    »Das Ritual fand in diesem Tempel statt«, sagte Höchste Weisheit. »Ich habe mich in Trance versetzt und spürte, dass sich ein Tor zum Reich der Toten in meinem Geist öffnete. Ich rief: ›Sei gegrüßt, Geist der Anemone. Bitte komm und sprich mit mir.‹«
    Sano, der während eines ähnlichen Rituals einst einen Tempel gestürmt hatte, malte sich aus, wie Höchste Weisheit auf einem Podium saß, voller Konzentration, die Augen geschlossen, während Mönche und Nonnen Gebete sangen. Er stellte sich das flackernde Kerzenlicht vor, roch den süßen Weihrauchduft, spürte die mystische Aura, die die Menge eifriger Zuschauer veranlasste, an den Betrug des Priesters zu glauben.
    »Aus meinem Munde sprach die Stimme einer Frau«, fuhr Höchste Weisheit fort. »Sie sagte: ›Ich bin hier. Warum habt Ihr mich gerufen?‹ Der Mann geriet in große Aufregung. Er rief: ›Anemone! Ich bin es! Erkennst du mich?‹«
    Sano stellte sich die Gestalt mit der Kapuze vor, die in flehender Pose vor Höchste Weisheit kniete und die tote Frau verkörperte.
    »Der Geist antwortete: ›Ja, mein Lieber‹«, sagte Höchste Weisheit. »Da brach der Mann in Tränen aus. Er sagte: ›Anemone, ich werde deinen Tod rächen. Dein Geist kann in Frieden ruhen, wenn ich den bestraft habe, der die Schuld an deinem Tod trägt.‹ Sie flüsterte: ›Räche meinen Tod. Bestrafe ihn.‹ Dann schloss sich das Tor zum Reich der Toten, und meine Trance endete. Der Mann sprang auf und schrie: ›Nein! Anemone, komm zurück!‹«
    Der Priester war zwar ein Scharlatan, wie Sano wusste, doch er verstand sich darauf, Menschen das zu erzählen, was sie hören wollten. Und indem er das Ritual jäh beendete und die Worte des Mannes wiederholte, anstatt ein Gespräch zu erfinden, ging Höchste Weisheit dem Risiko aus dem Weg, die Anwesenden könnten den Geist als Schwindel entlarven. Aber noch mehr als die Gerissenheit von Höchste Weisheit beeindruckte Sano die Bedeutung dessen, was der Mann gesagt hatte. Der sōsakan-sama stand regungslos da, während sein Verstand den einen wichtigen Anhaltspunkt in dem Bericht von Höchste Weisheit aufgriff; dann dachte er über Strategien nach, wie er über diesen Hinweis eine Verbindung zum Drachenkönig herstellen konnte. Draußen erhellte das Licht der Laternen den Hof, während Arbeiter Erde herbeischleppten, um den unterirdischen Tempel zuzuschütten. Höchste Weisheit betrachtete Sano verächtlich, konnte seine Angst aber nicht verbergen.
    »Ich habe Euch alles gesagt, was ich weiß«, sagte er. »Reicht das, damit

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