Der Palast
Angelegenheit, und ohne eine erfahrene Geburtshelferin, die mit unvorhergesehenen Schwierigkeiten fertig wurde, schwebten Midori und das ungeborene Kind in großer Gefahr. »Kommt herein und überzeugt Euch selbst.«
Nichts geschah. Einen kurzen Augenblick von den schrecklichen Schmerzen befreit, lag Midori reglos und keuchend auf dem Futon. Draußen tobte ein Unwetter. Regen prasselte aufs Dach und rieselte durch die Löcher und Ritzen auf Midori hinunter. Dann wurde die Tür geöffnet. Ota, dessen finstere Miene sowohl von Misstrauen als auch von Wut gezeichnet war, richtete sein Schwert auf Reiko und drängte sie zurück in das Gefängnis, während er mit zwei Männern eintrat. Er näherte sich Midori, die jammerte und zitterte, als sie erneut gegen einen heftigen Krampf ankämpfte. Ota und seine Komplizen wichen bei dem Anblick zurück. Auf ihren Gesichtern spiegelten sich die typische Angst und Ehrfurcht von Männern, die einer Geburt gegenüberstanden.
»Sie braucht eine Geburtshelferin«, sagte Reiko. »Sie braucht sauberes Wasser und Tücher und einen trockenen, bequemen Platz, an dem sie ihr Kind bekommen kann.« Entschlossen, sich um Midoris Wohlergehen zu kümmern, ließ Reiko alle Vorsicht außer Acht und befahl: »Sagt es Eurem Herrn. Sofort!«
Die Männer hatten es eilig, das Gefängnis zu verlassen, und das nicht etwa, weil Reikos Bitte sie eingeschüchtert hatte. Reiko kniete sich neben Midoris Futon und drückte auf eine Stelle der Wirbelsäule, von der sie wusste, dass der Druck darauf Wehenschmerzen lindern konnte. Midori keuchte; Fürstin Yanagisawa tupfte das Gesicht der werdenden Mutter ab. Keisho-in spähte unter Midoris Röcke, um zu sehen, ob das Kind auftauchte.
Dann kam Ota zurück. Sein grausames Grinsen vernichtete die Hoffnung der Frauen. »Mein Herr will Euch sehen«, sagte er zu Reiko.
Als Ota und zwei Männer Reiko in den Palast führten, klopfte ihr das Herz bis zum Hals. Sie stiegen eine Treppe in ein Gemach hinauf, in dem es stark nach dem Weihrauch des Drachenkönigs roch. Die Angst lag wie ein kalter, schwerer Stein in Reikos Magen. Sie spähte auf geöffnete Türen, die zu einem Balkon mit Blick auf den See führten, als plötzlich mit lautem Knarren eine Tür zur Seite geschoben wurde. Aus dem angrenzenden Gemach trat der Drachenkönig.
An diesem Tag trug er einen schlichten grauen Kimono über einer schwarzen Hose. Er blieb auf der Schwelle stehen und betrachtete Reiko mit ungerührtem Blick. Dann schritt er mit seinem seltsam zögernden Gang auf Reiko zu. Wahnsinn und Begierde schimmerten in seinen Augen.
Der eisige Stein in Reikos Magen wurde immer schwerer; ihre Beine zitterten. Sie ahnte, das jetzt ihre Qualen begannen. Sie musste sich demütigen, um das Vertrauen des Drachenkönigs zu erringen. Auch wenn sie sich trotz der vielen Stunden des Nachdenkens und Pläneschmiedens kläglich unvorbereitet fühlte, musste sie diesen Mann dazu bringen, sie und ihre Freundinnen freizulassen.
»Guten Tag, Anemone«, hauchte der Drachenkönig im vertrauten Tonfall Liebender.
Reiko sah vor dem geistigen Auge einen schwarzen Abgrund, der sich zu ihren Füßen auftat. Mutig trat sie über den Rand und hatte das Gefühl, in eine Tiefe zu stürzen, aus der es kein Zurück mehr gab.
»Guten Tag, Herr«, erwiderte Reiko mit gespielt freundlicher, vertraulicher Stimme. Sie schenkte dem Drachenkönig ein zauberhaftes Lächeln, verdrängte ihren Hass, ließ sich auf die Knie sinken und verneigte sich in der Hoffnung, dass ihre Unterwürfigkeit ihn entwaffnen würde.
Der Drachenkönig schritt auf sie zu und hüllte sie in die stickige Aura des Weihrauchs. Als Reiko den Kopf hob, blickte sie auf seine Lenden, die sich unmittelbar vor ihrem Gesicht befanden. Beinahe hätte sie sich rückwärts in die Arme der Wachen fallen lassen, die hinter ihr standen. Stattdessen hielt sie den Atem an und blickte auf die Schwerter des Drachenkönigs und den wilden Drachen, der in einem helleren Grau auf seinen Kimono gestickt war.
»Lasst uns allein«, befahl der Drachenkönig den Wachen.
Reiko schaute sich um und sah Ota, der vor der Tür stehen blieb und ihr einen drohenden Blick zuwarf. Ob ihre unterwürfige Haltung seinen Herrn überzeugt hatte, wusste Reiko nicht, doch Ota schien ihre Absichten zu durchschauen. Reiko wusste, dass Ota und die anderen Wachen sich nicht weit entfernen würden. Sie wusste auch, dass sie nicht darauf hoffen konnte, den Drachenkönig zu besiegen, falls sie seine
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