Der Palast
Männer nicht in ihren Plan mit einbezog.
Der Drachenkönig drehte die Handfläche nach oben und streckte Reiko seine langen Finger entgegen. Widerwillig legte sie ihre Hand auf die seine und ließ sich von ihm hochziehen. Wie Liebende standen sie dicht voreinander; ihre Körper berührten sich durch die dünne Kleidung.
»Habe ich Euch gestern genug zu essen und ausreichend Decken geschickt?«, fragte er. »Haben meine Männer Euer Quartier zu Eurer Zufriedenheit gereinigt?«
Heiß wie Feuer strömte der Atem des Drachenkönigs aus seinen Nasenlöchern und wehte Reiko ins Gesicht. Sie griff seine Frage auf, um ihre Unterwürfigkeit zu beweisen. »Ja. Tausend Dank. Das war sehr liebenswürdig von Euch. Meine Freundinnen und ich sind Euch außerordentlich dankbar«, sagte Reiko mit kläglicher Stimme, denn sie wusste, was ihr bevorstand.
Sobald sie sich der Begierde des Drachenkönigs unterworfen hätte, wäre ihr Leben für immer ruiniert, selbst wenn sie die Entführung überlebte. Sie würde ihr Treuegelöbnis Sano gegenüber brechen müssen, auch wenn es gegen ihren Willen geschah. Wie konnte sie zu ihm zurückkehren, nachdem ein anderer Mann sie geschändet hätte?
Selbst wenn sie erklären würde, dass sie mit dem Drachenkönig zusammengearbeitet und sich geopfert hatte, um ihre Freundinnen zu retten, konnte sie von Sano nicht erwarten, dass er ihr verzieh. Gleichgültig, wie verständnisvoll er war und welch eine einzigartige Ehe sie führten, so war Sano doch ein Mann. Tief in seinem Innern würde er glauben, sie hätte es gutgeheißen, vielleicht sogar genossen, dass der Drachenkönig ihr den Hof gemacht hatte. Er würde sich fragen, ob sie es nicht hätte verhindern können, wenn sie es wirklich gewollt hätte. Sanos Zweifel an ihrer Treue würden sein Vertrauen und ihre Ehe zerstören. Möglicherweise würde er sich sogar von ihr scheiden lassen. Sie würde nicht nur Sano, sondern auch ihren Sohn verlieren. In Schande davongejagt, wäre sie auf die Almosen ihrer Familie angewiesen.
»Ota -san sagt, Ihr wolltet mich etwas fragen«, sagte der Drachenkönig. »Aber zuerst sollten wir es uns bequem machen.« Sie knieten sich vor den Balkon. Seine Hand hielt noch immer die Reikos, als er reglos an ihrer Seite verharrte. »Wir wollen uns freuen, dass das Schicksal so gnädig zu uns war. Letzte Nacht habe ich geträumt, wir wären zu Hause. Es war Frühling, und die Kirschbäume im Garten blühten. Ihr habt mich das Schönschreiben gelehrt, wie Ihr es immer getan habt. Ihr habt die Arme um meine Schultern gelegt, meine Hand in Eure genommen und mir geholfen, den Pinsel zu führen.«
Seine Lippen deuteten ein wehmütiges Lächeln an. Er schaute hinaus auf den See, als würde er die Bilder seiner Träume auf dem unruhigen, silbernen Wasser erblicken. »Ihr habt meine Lenden gestreichelt, während Euer Haar über meine Schultern fiel und Eure Brüste meinen Körper berührten. Wir haben es genossen, und wir haben zusammen gelacht …«
Reiko erschrak, als sie sich das Bild des Drachenkönigs vor Augen führte, der mit einer Frau, die ihr ähnelte, in erotischer Pose vereint war. Sie starrte auf den Nebel, der die fernen Berge umhüllte, und wünschte sich, sie wäre dort – weit hinter den Bergen.
»Wenn ich aus diesen Träumen erwache, leide ich stets schreckliche Qualen, weil Ihr fort seid und ich allein bin«, fuhr der Drachenkönig fort. »Doch nun seid Ihr mir ganz unerwartet durch einen Zufall wiedergegeben worden.« Er dachte kurz nach. »Als ich die Mutter des Shōgun entführte, habe ich Euch nur deshalb gefangen genommen, weil Ihr bei ihr wart und ich annahm, dass Ihr eine hochrangige Persönlichkeit seid, die meinen Plänen dienen könne. Erst als ich Euch aus der Nähe betrachtet habe, stellte ich fest, dass Ihr das Ebenbild meiner geliebten Anemone seid. Und erst gestern, als wir zum ersten Mal miteinander sprachen, begriff ich, dass Ihr von ihrem Geist beseelt seid.«
Reiko wusste nicht, ob es sie betrüben oder erfreuen sollte, dass der Drachenkönig sie von der wahren Anemone unterscheiden konnte. Vielleicht ersparte es ihr seinen Zorn auf Anemone, den sie bereits zu spüren bekommen hatte. Andererseits minderte es ihren Einfluss auf ihn. Vor allem aber war Reiko froh, dass ihre Gefangennahme nicht der Grund für die Entführungen ihrer Freundinnen und die Ermordungen des Gefolges war; sie hatte ihre gefährliche Lage nur einer bösen Laune des Schicksals zu verdanken. Wenn sie sich doch
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